Poppenspael
vor der Themenkonferenz an ihrem Schreibtisch
überfallen. »Siebenhüner hat sich krankgemeldet,
und heute Abend starten die
Pole-Poppenspäler-Tage.«
»Nein, Theodor,
verschon mich bitte mit dem Feuilletonteil!«
»Was ist
verwerflich an Kultur, meine Liebe?«
»Na, hör
mal, Puppentheater! Mein letzter Zugang zu solch einer kulturellen
Veranstaltung war der Verkehrskasper während meiner
Grundschulzeit.«
»Egal, wie sehr
dich das geschädigt hat, meine Liebe, die Arbeit ruft!
Außerdem verkennst du gewaltig, dass Puppenspiel heute eine
ernstzunehmende Kunstform ist. Also pass auf, Siebenhüner hat
einen Interviewtermin mit einem gewissen Wiktor Šemik
vereinbart. Šemik soll ein außergewöhnlicher
Puppenspieler sein, wurde in der ehemaligen Tschechoslowakei
geboren, ein Land mit großer Puppenspieltradition, ich sage
nur Jan Malik. Aber keine Angst, Maria, Šemik lebt schon
lange in Deutschland und spricht perfekt deutsch. Hier hast du die
Unterlagen von Siebenhüner. Der hat sogar schon die
wichtigsten Fragen vorbereitet. Du musst nur um 10 Uhr im Hotel
sein, Altes Gymnasium in der Süderstraße. Leg dich
richtig ins Zeug, Maria, ich möchte ein spritziges Interview
für die Montagsausgabe,
klar!«
Maria Teske hastet auf
das rote Backsteingebäude zu, das mit seinen weinroten
Treppengiebeln an preußische Zeiten erinnert. Der
Journalistin ist bewusst, dass ihre ausgefranste rote Lederjacke
nicht unbedingt in ein Fünf-Sterne-Hotel passt.
Das ist zwar das erste
Haus am Platz, aber mein Presseausweis wird den Weg schon
freimachen, denkt sie und eilt rechts um das Gebäude herum, um
zum Haupteingang zu kommen. Das Alte Gymnasium war, wie unschwer
aus dem Namen abzuleiten ist, eine ehemalige Gelehrtenschule, die
so berühmte Persönlichkeiten wie Hermann Tast, Theodor
Storm und Ferdinand Tönnies zu ihren Schülern
zählte.
Die
Glasflügeltüren im überdachten Eingangsportal
öffnen sich automatisch. Maria Teske tritt in eine
weiträumige Empfangshalle und schaut sich um. In den
Sitzgruppen sind ausschließlich weibliche Hotelgäste zu
entdecken. Sie steuert auf den kleinen Tresen der Rezeption
zu.
Es sind noch 86
Stunden bis zu den Morden.
»Maria Teske von
der Husumer Rundschau«, stellt sie sich dem Mann hinter dem
Empfangstresen vor. »Ich habe einen Termin mit Herrn
Šemik. Können Sie ihm bitte melden, dass ich da
bin?«
»Selbstverständlich,
gnädige Frau. Wenn Sie so lange Platz nehmen
möchten«, bittet der geschniegelte Jüngling,
während er zum Telefon greift.
Die Journalistin
nickt, geht bis nach hinten durch und setzt sich auf einen der
beiden mit geschwungenen Strichen gemusterten Sessel an der linken
Wand. Die kleine Sitzgruppe steht direkt vor einer verkleideten
Heizung, auf der die Bronzefigur eines Jagdhundes mit Fasan im Maul
platziert wurde. Die biedere Eleganz ist ihr unangenehm. Sie schaut
nervös zur hohen, dunkelbraunen Holzdecke, von der goldene
Kandelaber herunterhängen. Nach zehn Minuten des Wartens hat
sie ihre Fragenliste bereits dreimal durchgearbeitet.
Angesäuert wippt sie mit dem Fuß des
übergeschlagenen Beins. Endlich taucht ein sportlicher, leicht
untersetzter älterer Herr mit kurz geschnittenen, weißen
Haaren auf. Maria Teske schnellt aus ihrem Sessel und streckt dem
Mann im anthrazitgrauen Anzug die Hand entgegen, doch der scheint
sie nicht zu sehen oder ignoriert sie absichtlich.
»Ich hatte mit
einem Mann gerechnet«, sagt Šemik im blasierten
Tonfall und mustert die Journalistin aus tief liegenden grünen
Augen von oben herab.
»Tut …
tut mir leid«, stammelt sie etwas irritiert, fängt sich
allerdings sofort wieder, »aber mein Kollege ist leider
erkrankt. Die Husumer Rundschau möchte aber unbedingt einen
großen Artikel über Ihre ungewöhnliche Arbeit
bringen.«
»Ungewöhnlich? Was
meinen Sie damit, Frau …?«
»Teske,
entschuldigen Sie, ich bin Maria Teske von der Husumer
Rundschau!«
»Gut, Frau
Teske, setzen wir uns erst mal.«
Was geht denn hier ab,
denkt die Journalistin innerlich angefressen, lächelt weiter
freundlich und setzt sich.
»Also, was ist
für Sie denn eine ungewöhnliche Arbeit?«
»Zum Beispiel,
wenn erwachsene Männer mit Puppenspielen ihr Geld
verdienen!«, antwortet Maria Teske scharf.
»Dann werden Sie
mich bestimmt als Nächstes fragen, ob man davon denn leben
kann, oder?«
»Genau!«
»Nun, man kann!
Man kann sogar sehr gut davon leben!«
Das hätte ich
auch selbst beantworten können, denkt sie. Wer so
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