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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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aber untätig, bleibt seine Unruhe, und er
steht weiter unter Strom. Erst eine aktive Tätigkeit belohnt
sein Gehirn wieder mit persönlicher Aufwertung. Er schaut
neidisch zu den Krähen hinüber, die in Massen die
Bäume vor dem Schloss bevölkern.
    Die haben’s gut,
denkt er. Ihre einzige Tätigkeit besteht darin, auf Ästen
herumzusitzen und mit ihrem penetranten Gekrächze auf sich
aufmerksam zu machen.
    »Hallo, sind Sie
der Puppenspieler aus Hamburg?«, überlagert eine
Säuselstimme seine Gedankenwelt. Die Person, der diese
merkwürdige Stimme gehört, kommt über den Schlosshof
auf ihn zugestürmt.
    »Da sind Sie bei
mir richtig!«, ruft er der jungen Frau übermütig
entgegen und presst dabei automatisch die Arme an die
Achseln.
    »Tut mir leid,
ich bin wohl etwas spät dran?«, sagt sie ein wenig
außer Atem.
    Sein verschwitztes
Hemd tritt urplötzlich in den Hintergrund. Bender spürt,
dass seine Hände schweißig werden und sein Puls zu rasen
beginnt. Das hat nichts mehr mit seinem abwesenden
Gemütszustand zu tun, sondern mit seinem Dasein. Er staunt die
Realität an, die da unvermittelt vor ihm steht, und versucht
sie gleichzeitig auf Distanz zu halten, als Sinnestäuschung
einzuordnen. Er sieht in die hellblauen Augen der Frau, die zwei
einsamen Planeten gleichen.
    Das muss die Raumzeit
sein! Das Universum existiert nur deshalb, weil Gott es unentwegt
beobachtet, kreisen neue Gedanken in seinem Kopf und er
überlegt gleichzeitig, wer das noch gesagt
hat.    
    »Berkeley!«
    »Susan
Biehl.«
    »Das ist
… äh … Quatsch! Ich heiße natürlich
Bender, Marcus Bender!«
    »Macht nichts!
Ich bin auch nicht die Person, die Sie gerade erwarten, und
außerdem bin ich auch noch zu spät. Frau Ørsted
hat mich eben erst angerufen, ob ich sie vertreten kann. Ihr ist
ein äußerst wichtiger Termin mit einem Kunden dazwischen
gekommen.«
    »Sie sind
überhaupt nicht zu spät, Frau Biehl«, sagt Bender
verlegen lächelnd, steckt unbeholfen die Papiertüte in
die Hosentasche und hält der Frau die Hand entgegen. Das Ganze
sieht aus wie eine gekonnte Slapstickeinlage. Susan Biehl kann ein
Grinsen nicht verkneifen, packt seine Hand mit festem Griff und
schüttelt sie so kräftig, dass beide lachen
müssen.
    »Es … es
gibt … ein Problem, Frau Biehl«, druckst er herum.
»Die Kulissen, die Puppen und alle Requisiten sind noch gar
nicht hier. Unser Wagen musste in die Reparatur. Hab keine Ahnung,
wann mein Kollege eintrifft.«
    »Es ist noch
alle Zeit der Welt«, beruhigt Susan. »Ich zeig Ihnen
erst mal die Räumlichkeiten.« Sie geht auf den flachen
Backsteinanbau zu, der sich rechts vom Hauptgebäude über
den Hof erstreckt. Er wartet, bis sie aufgeschlossen hat und folgt
ihr durch die Tür. Der winzige, quadratische Vorraum, in den
sie eintreten, macht einen düsteren Eindruck. Der eigentliche
Veranstaltungsraum ist nebenan, ist aber auch kein großer
Saal, wie er eigentlich erwartet hatte. Bei seiner Zusage, hier
aufzutreten, war er immer vom herzoglichen Ambiente eines
Renaissancesaals ausgegangen. Das, was ihm hier zugeteilt wird, ist
doch eher zweite Wahl.
    »Ziemlich
schlicht«, sagt er knapp und versucht, seine
Enttäuschung vor der bezaubernden Frau zu verbergen, die ihn
mit ihrer sirenenhaften Stimme betört. Er fühlt sich
willenlos wie Odysseus, den man besser an den Mast eines Schiffes
fesseln sollte.
    »Der
Förderverein hat den Raum speziell für Ihr Stück
ausgesucht«, säuselt Susan, während sie ihn durch
den Raum führt. »Hier passen immerhin über 150
Personen rein. Außerdem kommt gerade das besonders
aufgeschlossene Publikum hierher, wegen der heimeligen
Atmosphäre und der Nähe zu den
Puppenspielern.«
    Marcus Bender achtet
schon nicht mehr darauf, was seine quirlige Betreuerin ihm alles
anpreist, am liebsten würde er sie vom Fleck weg unter Vertrag
nehmen, mit auf seine Bühne stellen und für immer im
Moment der Gegenwart gefangen halten. Gleichzeitig fühlt er
sich gehemmt, genauso wie damals, als er die ersten Lernschritte im
Einführungsseminar der Figurentheaterschule machte.
    Der Professor forderte
alle Erstsemester in einer Stunde auf, ihre mitgebrachten Puppen
erst einmal beiseite zu legen und drückte jedem ein kleines,
weißes Tuch in die Hand, an dem ein Stück dünner
Faden befestigt war.
    »Macht aus einem
Objekt ein handlungsfähiges Subjekt!«
    Er stand völlig
unfähig da, ließ das Tuch an dem Faden schlaff zu Boden
hängen und rätselte über seine Hände,

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