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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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schon ein
seltsames Gefühl, hier oben zu stehen, denkt er. Eine echte
Versuchung für das eigene Ego. In seiner Fantasie ist der Raum
plötzlich mit Publikum gefüllt und alle Blicke sind auf
ihn gerichtet, nur auf ihn allein. Er spürt sofort, dass ihn
die Situation total überfordern würde. Das Rampenlicht
ist nicht mein Ding, sagt er sich, das hat eine andere Dimension
als unsere Pressekonferenzen oder die unsichtbare
Öffentlichkeit, die uns bei jeder Ermittlung auf die Finger
schaut.
    »Kommen Sie mit
nach hinten«, lockt Susan und fordert Swensen auf, mit Anna
hinter eine der Stoffbahnen zu kommen. Dort befindet sich eine Art
Kleiderständer auf Rädern, über dessen Stange an die
zehn Handpuppen liegen, verschiedene Schafe mit witzigen
Gesichtern, ein alter Widder, ein Wolf, ein Wolfs- und ein
Schafsfell. Dahinter steht ein fahrbares Gestell, auf dem eine
ganze Herde aus Wollknäueln drapiert wurde.
    »Dieses kleine
Schaf ist besonders süß«, sagt Anna und deutet auf
eine Handpuppe mit großen Kulleraugen und rosa
Schnauze.
    »Das ist Seba,
das kleinste Schaf der Welt«, erklärt Susan mit
Leidenschaft in der Stimme und streichelt der Puppe über die
weiße Wolle.
    »Seba?«,
fragt Swensen neugierig. »Ein ungewöhnlicher Name
für ein Schaf, hat der irgendeine höhere
Bedeutung?«    
    Susan schüttelt
den Kopf.
    »Ich dachte nur,
weil das Stück ›Ursache und Wirkung‹
heißt.«
    Susan Biehl scheint
etwas überfordert zu sein: »Seba kommt von Sebastian,
eine Abkürzung des Namens, soweit ich
weiß!«
    »Ich kenn nur
einen gewissen Albertus Seba«, wirft Anna ein. »Ein
Apotheker und Naturaliensammler aus dem 17.
Jahrhundert.«
    Swensen guckt Anna mit
großen Augen an. »Wie kommst du denn darauf?«,
fragt er mit Erstaunen in der Stimme.
    »Dieses Bild mit
den Schildkröten drauf, in meiner … unserer Küche,
das ist von Albertus Seba. Übrigens ein gebürtiger
Ostfriese.«
    »Du meinst
diesen kleinen Kupferstich über der
Anrichte?«
    »Ja! Das ist
kein echter Kupferstich, nur ein Druck.«
    »Ich glaube, wir
müssen langsam wieder«, drängelt Susan und
führt die beiden auf demselben Weg zurück. Als sie gerade
wieder an der Saaltür sind, wird diese von außen
geöffnet und die ersten Zuschauer strömen
herein.
    »Hier sind die
Karten«, sagt Susan, »Sie können schon auf Ihre
Sitze, fünfte Reihe, 113 und 114, ziemlich in der
Mitte.«
    »Nochmals danke
für die Karten, Frau Biehl«, bedankt sich Anna und eilt
mit Swensen zu ihren Plätzen. Der Ansturm beginnt, blitzartig
ist der Theatersaal gerammelt voll, die Ordnerinnen vom
Förderverein haben alle Hände voll zu tun. Wenig
später wird es dunkel, und ein bläuliches
Dämmerlicht taucht die Bühne in eine Nachtszene. Das
kleine Schaf, das sie gerade noch leblos hinter der Bühne
bewundert haben, tippelt lebendig auf die Bühne. Es wird von
einem Puppenspieler in schwarzer Kleidung geführt, der mit
seinem Arm den Körper der Puppe hält und die Bewegung des
Tieres täuschend echt simuliert, obwohl die wollige Figur gar
keine Beine hat. Von links flammt ein gelbliches Licht auf, das den
Eindruck eines Sonnenaufgangs vortäuscht und die
herabhängenden Stoffe wie dunkle Bäume erscheinen
lässt. Swensen empfindet die Bühne plötzlich als
einen weiten Raum.
    »Sebaaaaah,
Seeebaaaah! Seeebääääh! Wo bist du denn schon
wieder?«, blökt eine leise Stimme, die weit entfernt
klingt. Swensen ist beeindruckt, wie der Puppenspieler es schafft,
gleichzeitig so unterschiedliche Stimmen zu sprechen.
    Das Schaf legt den
Kopf schief, tippelt zu einem der Vorhänge in der Mitte der
Bühne. Ein zweites, wesentlich größeres Schaf kommt
hinter dem Vorhang hervor. Der Puppenspieler arbeitet jetzt mit
beiden Armen, lässt das große Schaf auf das kleine
zugehen.
    »Warum spielst
du nicht, wie es sich für ein kleines Schaf gehört, mit
den anderen Lämmern?«, sagt das größere Schaf
mit vorwurfsvollem Ton.
    »Ich mag nicht
mit den anderen spielen!«
    »Aber Seba,
Spielen ist doch etwas Schönes!«
    »Nein, ist es
nicht! Ich schaue mir lieber die vielen Wolkenschafe
an!«

6
    Der weinrote Honda
Civic kommt von Garding über die Welter Straße. Schon
bevor er den Ortseingang von Welt erreicht, schaltet der Fahrer die
Scheinwerfer aus und drosselt die Geschwindigkeit. Er kaut mit den
Zähnen auf der Unterlippe, seine Schultern sind angespannt
nach oben gedrückt. Er geht die geplante Vorgehensweise noch
einmal in seinem Kopf durch, alles reine Routine.

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