Poppenspael
das
Storm-Märchen geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie
grübelt über die Szene nach, in der Bulemanns Vater als
Pfandleiher beschrieben wird und der Mann über Jahre Schmuck,
Geräte und Trödelkram der Notleidenden in seinem Haus
ansammelt. Da aber niemand sein Darlehen auf diese Pfände
wieder zurückzahlt, bleiben die Gegenstände in seinem
Besitz. Verkaufen will er sie nicht, weil er gesetzlich
verpflichtet wäre, den erzielten Überschuss aus jeder
Pfandsache an die Eigentümer herauszugeben. Nachdem der Vater
gestorben ist, tritt Bulemann das Erbe an und setzt sich
augenblicklich über dieses Gesetz hinweg, verkauft heimlich
alle Sachen und lagert die Silbermünzen in einem
eisenbeschlagenen Kasten.
Das hat etwas von
einer Parabel, denkt Anna Diete, eine Parabel auf das heutige
Kreditwesen unserer lieben guten Banken. Die machen nichts anderes,
als das Ersparte in der Gesellschaft einzusammeln, um es gegen eine
Gebühr wieder an Geschäftsleute auszuleihen. Und weil das
viele Ersparte jahrelang nutzlos auf den Konten herumlag, kamen die
Bankiers auf die glorreiche Idee, mehr Kredite herauszugeben, als
Erspartes auf ihren Konten lagerte. Es war schließlich kaum
zu erwarten, dass alle Sparer gleichzeitig ihr Geld
zurückfordern würden.
»Ein Kaffee
für das geplagte Unterbewusstsein!«, scherzt Swensen,
als er mit dem Tablett in den Garten tritt.
»Und was
empfiehlt mein Psychoanalytiker sonst noch?«
»Nichts! Ich
sehe doch, dass du meinen Rat schon befolgt hast«, entgegnet
der Hauptkommissar und reicht Anna die Tasse. »Du bist
draußen und das Buch liegt drinnen, Therapie erfolgreich
abgeschlossen.«
»Wenn du dich da
man nicht täuschst. Ich hab nämlich von dir gelernt und
meine Triebe nur ein wenig sublimiert, Kollege Freud«,
versucht Anna, Jan zu veralbern. »Methode Swensen, geht
kinderleicht! Man trägt die Arbeit einfach immer im Kopf mit
sich herum.«
»Ich denke, du
hältst nichts von gegenseitigem Aufrechnen?«, stichelt
Swensen, nimmt seine Tasse grünen Tee und legt sich
demonstrativ in den Liegestuhl.
»Ausnahmen
bestätigen die Regel oder deutlicher: Ich bin, also denke ich!
Eine Psychologin ist kein meditierender Hauptkommissar, der seine
Gedanken nach Belieben abschalten kann.«
»Soll ich dir
erzählen, wie der das macht?«
»Nein danke!
Aber du könntest mir erzählen, ob es im Buddhismus so
etwas wie die sieben Todsünden gibt, ich denke speziell an die
Gier.«
»Tut mir leid,
das Wort Todsünden kennt der Buddhismus nicht. Aber laut
Buddhas Worten gehört die Gier zu den samsārischen
Anhaftungen, die neben Hass und Unwissenheit den Ursprung unseres
Leidens ausmachen.«
»Also doch!
Statt sieben eben nur drei Todsünden!«
»Nein, Anna!
Samsāra ist nichts grundsätzlich Schlechtes. Es ist neben
Nirvana nur eine Seite der gleichen Wirklichkeit. Was im Blick des
Menschen als Samsāra erscheint, kann der Erleuchtete als
Nirvana erkennen, oder einfacher gesagt, wenn wir uns an Gier, Hass
und Unwissenheit binden, erfahren wir immer nur Samsāra.
Können wir uns aber davon lösen, haben wir Nirvana
erreicht.«
»Hey, da kommt
mir gerade die Erleuchtung! Wenn ich dich richtig verstanden habe,
ist die Gier in Storms Märchen eine Art Anhaftung ans Geld.
Aber im Sinne des Buddhismus sind doch alle Dinge in Wirklichkeit
leer, hast du schon öfter erklärt. Dann ist Geld auch nur
eine Illusion, oder? Das stand auch in meinem Buch: ›Das
Vorhandensein von Geld sagt nichts über seine Existenz
aus‹.«
»Leersein
bedeutet aber nicht, dass etwas keine eigene Existenz hat, Anna. Es
sagt nur, dass es keine eigenständige Substanz hat. Geld ist
nicht unabhängig von der Gier des Menschen vorhanden oder von
dem Wert, dem der Mensch ihm zubilligt, oder dem Metall, aus dem es
geprägt ist und, und, und.«
»… Oder
von den Zinsen, die eine Bank dafür einstreicht, dass sie
einen Kredit gewährt. Das ist die Gier der modernen
Raubritter, die einem gutgläubigen Mann 100.000 aufschwatzten
und von ihm erwarten, dass er daraus 200.000 macht. Sie zwingen ihn
indirekt, mit anderen Menschen um dieses Geld zu konkurrieren. Aber
wer das Spiel gewinnt, lässt andere auf der Strecke. Herr
Hauptkommissar, warum werden nicht alle Bankiers sofort
festgenommen?«
»Hört sich
sehr nach Klassenkampf an, oder? Soll das dein Resümee in
deinem Vortrag werden?«
»Wer
weiß!«
»So einfach kann
die Husumer Polizei die Ungerechtigkeit nicht aus der Welt
schaffen. Die Gier der Bankiers
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