Poppenspael
erkennen.
»Hallo Frau
Biehl! Warten Sie schon lange?«, reißt eine Stimme sie
aus ihren Gedanken. Frieda Meibaum steht direkt vor ihr.
»Ich war nach
der Aufführung noch schnell im Wahllokal. Hat leider etwas
länger gedauert.«
»Ich war heute
Mittag wählen, damit ich es gleich von der Backe hatte! Wie
machen das eigentlich die Puppenspieler, die müssen doch auch
wählen?«
»Die meisten aus
dem Förderkreis haben Briefwahl gemacht«, erklärt
Frieda Meibaum und reicht Susan die Hand zu Begrüßung.
Die beiden Frauen schlendern zu dem Torbogen im Alten Rathaus
hinüber. An der öffentlichen Toilette im Schlossgang
stehen mehrere Männer beieinander, und Frieda Meibaum verzieht
ihr Gesicht. Susan Biehl lässt sich nichts anmerken, mustert
nur im Vorbeigehen die aufgedunsenen Gesichter mit der
geröteten Haut. Einer der Männer verteilt gerade
Bierdosen, und lallendes Gejohle verfolgt sie wie ein schlechtes
Gewissen. Du schreitest auf dem Pfad der Kultur, hört sie ihre
mahnende Stimme, und sie liegen an seinem Rand, im Niemandsland,
ohne Kino, Fernsehen und Puppenspiel. Ihr fällt der bekannte
Spruch über den Geiz ein, in dem eine reiche Frau sagt:
›Ich würde den Armen ja gern Gutes tun, aber ich bringe
es einfach nicht übers Herz‹.
Unter dem grauen
Vordach steht in erhabenen goldenen Lettern HUSUMHUS.
Dichtgedrängte Gruppen von plaudernden Besuchern stehen
bereits auf den Treppenstufen, als Frieda Meibaum und Susan Biehl
die Neustadt hinaufkommen. Neben akkuraten Anzügen und
Glitzerstoffen ist auch normale Straßenkleidung zu sehen,
aber die Menge der Zuschauer deutet auf den kulturellen
Höhepunkt des Festivals hin. Susan empfindet den Anblick als
gesellschaftlichen Schaulauf von Bildungsmarionetten am
Gängelband. Und bei all dem Sehen und Gesehenwerden, thront
passend über diesem Markt der Eitelkeiten auch noch eine
goldene Hahnenfigur auf einem schmalen Mauervorsprung im
Gebäude. Das Husumhus ist ein schlichtes
Backsteingebäude, beherbergt das dänische Kulturzentrum
und stellt auch dieses Jahr seine Räumlichkeiten für die
Pole-Poppenspäler-Tage zur Verfügung.
Frieda Meibaum steuert
mit Susan Biehl an den Menschen vorbei ins Foyer, ein aus warmer
Holzverkleidung und rotem Backstein gestalteter Raum, der sich
langsam zu füllen beginnt. Direkt neben dem Büchertisch
eröffnet Frieda Meibaum die Kasse. Susan trommelt einige der
Ehrenamtlichen, die zur Vorstellung erschienen sind, zusammen,
damit sie genügend Leute sind, um die vielen Besucher an die
richtigen Plätze zu bringen.
»Hast du den
Hahn im Eingang gesehen, Anna?«, schnappt sie die bekannte
Stimme von Hauptkommissar Swensen auf. »Der Hahn ist
übrigens das buddhistische Symbol für die
Gier.«
»Herr Swensen,
Frau Diete«, säuselt Susan dazwischen.
»Schön, dass Sie kommen, ich hole gleich Ihre
Karten.«
»Das Stück
›Bulemanns Haus‹ von heute Vormittag war ein
ausgezeichneter Tipp, Frau Biehl«, bedankt sich Anna Diete.
»Ein echtes Highlight, wirklich! Nochmals vielen
Dank!«
»Da
schließe ich mich an, Susan«, bestärkt Swensen.
»Meine Einstellung zum Puppentheater ist grundlegend
revidiert worden. Jetzt bin ich umso gespannter auf heute
Abend.«
»Was halten Sie
davon, wenn ich für Sie einen Blick hinter die Kulissen
arrangieren würde!«
»Könnten
Sie das wirklich, Susan?«, fragt Swensen fast wie ein kleiner
Junge. »Natürlich hätten wir Lust dazu, also
… wir würden uns riesig freuen!«
»In fünf
Minuten an der Eingangstür zum Theatersaal, ich lass Sie dann
reinflutschen«, sagt Susan im überdrehten Singsang und
verschwindet zwischen den herumstehenden Leuten. Anna Diete zieht
Swensen mit zum Büchertisch hinüber, wirft einen
flüchtigen Blick auf das Angebot, blättert einige
Bücher durch und kauft sich dann ein kleines Buch im
grünen Schutzumschlag: ›Kann man denn davon leben
…? – Ein Puppenspieler
erzählt‹.
»Frau Diete,
Herr Swensen, hallo!«, sticht Susans Stimme aus dem
gleichförmigen Gemurmel der Gespräche hervor. Swensen
sieht die Kollegin winkend im Spalt der Saaltür, tippt Anna an
den Oberarm, und beide treten schnell durch die kurz geöffnete
Tür. Im Saal geht es links durch eine weitere Tür in
einen kleinen Vorraum und von da über eine schmale Holztreppe
direkt auf die Bühne. Stoffbahnen teilen die riesengroße
Spielfläche in mehrere kleine Abschnitte. Swensen tritt an den
Bühnenrand und schaut auf die leeren Klappsitze im
Zuschauerraum.
Das macht
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