Poppenspael
liegt außerhalb meiner
Kontrolle, Schatz. Außerdem gibt es für alle Bankiers
das wunderschöne Bild von dem Löwen, der sich in den
Schwanz beißt, das besagt: Selbst wer sich selbst frisst,
wird durch jeden Bissen genährt. Je unstillbarer also die Gier
wird, umso größer wird sie auch. So bleibt die Gier
für immer und ewig in der Welt.«
»Das versteh ich
nicht, Jan.«
»Das ist
Anhaftung! Die Gier findet keine Befriedigung und je gieriger du
bist, umso gieriger wirst du.«
»Kein schlechter
Ansatz für den Vortrag, so kann man auch die Botschaft in
›Bulemanns Haus‹ interpretieren: Das Horten von Geld
steigert nur den Wunsch, immer mehr davon zu
besitzen!«
»Der Buddhismus
ist nicht moralisch!«
»Dafür
klingst du moralischer, als Buddha es erlauben
würde!«
»Ich finde, wir
lassen das einfach so stehen!«
»Wir haben aber
keine Zeit zum Rumstehen, Jan Swensen«, neckt Anna und zeigt
auf ihre Armbanduhr. »Es ist kurz nach halb sieben. Wir
sollten uns langsam für unseren Theaterabend
fertigmachen.«
»Eeeh, wirklich
so spät? Dann gibt’s bestimmt schon die ersten
Hochrechnungen. Ich schmeiß nur mal schnell die Glotze
an.«
Blitzschnell ist
Swensen im Wohnzimmer verschwunden. Als Anna dazukommt, flackert
auf dem Bildschirm des Fernsehers bereits das längliche
Gesicht von Jörg Schönenborn.
»Uns liegt
gerade die neuste Hochrechnung vor. Dabei gehen 39,5 % an die CDU,
37,3 % an die SPD. Das würde auf einen knappen Wahlsieg der
CDU hinaus… oh, ich höre gerade von der Regie, dass der
Kanzlerkandidat der CDU/CSU Edmund Stoiber im Konrad-Adenauer-Haus
eingetroffen ist.«
Das Bild des
Moderators schaltet weg und das Atrium der
CDU-Bundesgeschäftsstelle in Berlin erscheint. Eine jubelnde
Menschentraube empfängt Edmund Stoiber, der sich ans Mikrofon
drängt und triumphierend ruft: »Eines steht jetzt schon
fest: Die Union hat die Wahl gewonnen.« Edmund-Edmund-Rufe
hallen durch den Raum. Stoiber streckt die Daumen nach oben und
sagt mit strahlendem Gesicht: »Ich werde noch kein Glas
Champagner trinken, aber es wird bald sein.«
»Eine weitere
Variante zum Thema Gier«, stellt Swensen beiläufig fest.
»Machtgier.«
*
Über den Husumer
Marktplatz flanieren adrett gekleidete Paare, er meist im dunklen
Anzug, senkrecht gebügelt, sie verkleidet im farbig-dezenten
Kostüm. Die letzten Nachzügler, denkt Susan Biehl,
verbinden Urnengang mit einem Spaziergang. Sie beobachtet das
Treiben vom Rand des Brunnens aus. Der Stein ist noch warm von der
Sonne, die langsam hinter den Dächern versinkt. Die
Sekretärin wippt nervös mit dem rechten Fuß und
hält nach Frieda Meibaum Ausschau, die durch die
Krämerstraße kommen müsste. Wo bleibt sie nur, die
Nachmittagsaufführung im Rathaus müsste doch längst
vorbei sein?
Der Tine-Brunnen
zählt zu den beliebtesten Treffpunkten in der Stadt. So
manches Liebespaar hat hier den ersten Kuss getauscht, und fast
jeder Stadtrundgang nimmt hier seinen Anfang.
Susan Biehl kennt sie
alle, die Anekdoten und Geschichten, die um diesen Brunnen kreisen.
Der Name Tine steht zum Beispiel für die Kurzform von
Catherine, und dieser Name gehört zu Anna Catharine Asmussen,
einer resoluten Husumerin, die im 19. Jahrhundert mit ihrem Vetter
August Friedrich Woldsen die letzten Nachkommen einer wohlhabenden
Kaufmannsfamilie waren. Beide hinterließen der Stadt Husum
das beträchtliche Vermögen von 96.000 Talern. Husum
errichtete dafür aus Dank diesen Brunnen und beauftragte
dafür den Bildhauer Adolf Brütt aus Berlin, einen
gebürtigen Husumer. Während der Bauzeit für die
Brunnenanlage war der Künstler zweimal im Thoma’s Hotel
in der Großstraße einquartiert, und dort arbeitete
seinerzeit Susans Urgroßmutter, Dora Fuchs, als
Hotelangestellte. Adolf Bütt sah die 23-Jährige, sie war
damals so alt wie Susan heute, und wählte sie als Modell
für seine Bronzefigur aus. In Susans Familie wird davon noch
heute erzählt, und die Sätze der Urgroßmutter haben
den Status von geflügelten Worten angenommen:
›Wodenni keem
dat, dat de Professor jüst Di utsöcht
hät?‹
(Wie kam das, dass der
Professor gerade dich ausgesucht hat?)
›Weet ick uck
ni, aber ick har domals je wull en gude Figur!‹
(Weiß ich auch
nicht, aber ich hatte damals ja wohl eine gute Figur!)
In ihrer Küche
hat Susan Biehl eine Postkarte mit dem Gesicht der Bronzefigur und
daneben ein Foto von sich aufgehängt. Manchmal glaubt sie eine
gewisse Ähnlichkeit zwischen beiden zu
Weitere Kostenlose Bücher