Poppenspael
nach Husum und reiht sich in den
morgendlichen Verkehr ein.
*
Sie will nicht
glauben, was sie da sieht. Tabellen und Zahlen fliegen über
den Display des Taschenrechners. Der Körper ist wie
gelähmt und das Herz pocht in der Brust. Akute Kopfschmerzen
scheinen den Kopf zu sprengen. Der schrille Klingelton der
Haustür reißt sie aus der Erstarrung. Die Klingel geht
ein zweites Mal und der Ton füllt die Stille, selbst nachdem
er bereits verklungen ist. Wie in Trance steht sie auf, geht
über den Flur zur Bürotür, drückt den
Türsummer und schaut ins Treppenhaus. Von unten kommen
schleppende Schritte die Treppe herauf. Der Kopf einer hageren
Gestalt wird sichtbar.
»Was willst du
hier?«, ruft sie dem Mann entgegen. »Komm bloß
nicht näher ran!«
»Gib mir den
Becher zurück, Schwester! Ich bitte dich! Ohne den
Schnorrbecher bin ich aufgeschmissen, ich kann kein Geld mehr
betteln und muss hungern.«
»Hast du Geld,
um ihn einzulösen?«, schnauzt sie den Hageren an.
»Mit Träumen löst man keinen Pfand
ein!«
»Sei barmherzig,
Schwester! Ich bin doch von deinem Blute!«
»Bleib mir vom
Leib!«
Zwei riesige Kater
sausen die Treppe hinauf, flutschen durch die Beine der
Schattengestalt und stürmen ihr entgegen.
»Graps, alte
Bestie! Schnorres, mein Söhnchen«, flüstert sie,
streckt ihre Hand aus und versucht, beiden Tieren den Kopf zu
kraulen. Die fauchen nur böse, schlagen ihr die Krallen in den
Handrücken, und ein höllischer Schmerz lässt sie die
Augen öffnen. Der Wecker auf dem Nachtschrank rasselt hell.
Wütend schlägt sie mit der Hand auf den
Klingelknopf.
Jetzt verfolgt mich
diese elende Firma schon bis in den Schlaf, schießt es ihr
durch den Kopf. Sie legt sich zurück aufs Kissen und
schließt erneut die Augen, doch dort, in ihrem Inneren, gibt
es erst recht keine Ruhe. Die gesamten Probleme aus dem Büro
kriechen ihr wie ein bösartiges Pelztier den Rücken
hinauf, beißen sich in ihrem Nacken fest.
Sie sieht sich auf
ihrem Drehstuhl sitzen, vor einigen Wochen, sieht, wie sie auf die
Uhr blickt. Eine innere Unruhe hat sie durch den Vormittag
getrieben, die Zeit gnadenlos hinweggerafft. Ohne Pause hat sie
sich noch einmal durch Kassenbücher, Bankbelege und Rechnungen
gewühlt, bis Handgelenke, Nacken und Rücken schmerzten.
Der unbequeme Bürostuhl, die unentwegt verdrehte Haltung,
Finger auf der Tastatur, den Kopf gekippt, erst links zum
aufgeklappten Ordner mit den Rechnungsbelegen, dann rechts zum
Computerbildschirm und zurück, forderten ihren Tribut.
Normalerweise ist sie selbst unter Termindruck und strikt
einzuhaltenden Fristen voll leistungsfähig, doch die
ununterbrochenen Anrufe haben sie aus ihrer Konzentration gerissen.
Mandanten wollten unwichtige Auskünfte über Lohnsteuer
oder Sozialversicherungsbeiträge. Von den am Boden stehenden
sieben Pappkartons der Firma Asmussen, bis zum Rand mit Ordnern
gefüllt, sind noch über die Hälfte nicht angetastet
worden. Der Stress, sich in einer permanenten Aufholjagd zu
befinden, lässt sich einfach nicht mehr abschütteln.
Außerdem spukt eine vage Unruhe in ihrem Kopf herum, die sich
aus Zahlenreihen von importierten Tierfuttermengen
zusammensetzt.
Vor einigen Tagen
hatte sie bereits die Daten der Frachtpapiere und die
dazugehörigen Rechnungssummen in ihre Buchungsliste
eingegeben. Dabei war ihr aufgefallen, dass im letzten Jahr der
Frachtschiffverkehr zwischen den drei lettischen Hafenstädten
und Husum im Vergleich zum vorletzten Jahr einen rasanten
Aufschwung genommen hatte. Doch irgendetwas hatte da nicht
gestimmt, das neue Tonnageaufkommen wies nicht mehr die gewohnte
runde Summe auf. Waren es im vorletzten Jahr noch 2.000 Tonnen pro
Schiff, hatte sich die Fracht im letzten Jahr um jeweils 500 Tonnen
verringert. Das hieß, obwohl mehr Schiffe gekommen waren, war
die Gesamttonnage fast gleich geblieben. Schlagartig hatten bei ihr
alle inneren Alarmglocken geläutet. Die Tatsache, dass die
Gewinne der Firma Asmussen in den beiden Jahren stagniert hatten,
hatte ihr Misstrauen nur noch mehr angefacht. Ihr gesunder
Menschenverstand hatte ihr gesagt, da ist etwas faul im Staate
Lettland.
Nach dem Anruf von
einem der Gebrüder Asmussen waren die Ungereimtheiten nur noch
präsenter geworden, flüsterten ihr ins Gewissen und
standen wie ein grauer Schatten neben ihr, als wollten sie eine
Reaktion von ihr abfordern. Sie hatte in dem Gespräch kein
Blatt vor den Mund genommen. Dieter Asmussen hatte daraufhin sehr
subtil gedroht und
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