Poppenspael
um den Brechreiz
loszuwerden.«
Die Marionette
stolpert beschwerlich an den Bühnenrand. Dort geben die
Fäden nach und sie bricht in sich zusammen. Der Puppenspieler
legt das Spielkreuz neben seine Figur und spricht das Publikum
direkt an: »Das alles ist die gleiche Unbewusstheit,
mannigfaltig dank unterschiedlicher Gesichter und Körper, wie
Marionetten, an Drähten gezogen, die zu den gleichen Fingern
in der Hand eines Unsichtbaren führen. Sie ziehen mit allen
Gebarungen vorüber, mit denen sich das Bewusstsein bestimmt,
und haben kein Bewusstsein von irgendetwas, weil ihnen nicht
bewusst ist, dass sie ein Bewusstsein besitzen.«
Das Licht erlischt,
erst setzt verhaltenes Klatschen ein, schwillt aber dann
schlagartig zu einem tosenden Beifall heran. Auch Peter Pohlenz
kann nicht anders, trotz eines latenten Neidgefühls wird er
mit in den Sog des Publikums gerissen und klatscht wie wild
drauflos, bis ihm die Hände wehtun. Dabei war er nur
routinemäßig in dieses Stück gegangen, mehr um
seine Konkurrenz auszuspionieren, Tricks zu lernen oder neue Trends
zu entdecken. Der Titel ›Portugiesische Backalau‹
hatte ihn irgendwie angelockt, erschien auf Anhieb recht
vielversprechend. Auch im Programmheft wird die portugiesische
Hauptspeise in vollen Zügen gelobt. Das Stück basiert auf
Textfragmenten von Fernando Pessoas, steht dort geschrieben, die in
diesem ungewöhnlichen Puppenspiel brillant umgesetzt werden.
Die Marionetten erzeugen eine existenzielle Traurigkeit und werfen
Fragen auf, Fragen nach einer übergeordneten Bestimmung des
Menschen.
Bis heute ist Peter
Pohlenz dieser Dichter völlig unbekannt gewesen, doch jetzt
ist er berauscht von dessen radikaler Sprache. Ebenso ist er von
der poetischen Umsetzung durch seine Kollegen zutiefst beeindruckt.
Doch immer, wenn ihn etwas so tief berührt, beginnen Zweifel
an seiner Person zu nagen.
Vor dem Ausgang stauen
sich die Menschen. Er bleibt festgekeilt im Gedränge stecken
und kommt nur mühsam, Schritt für Schritt,
vorwärts.
Ziemlich symbolisch,
diese Situation, denkt er und schielt in einem Anflug von Gram zur
pechschwarzen Bühne hinüber. Du hängst in der Masse
fest wie deine hehren Ansprüche. So etwas Geniales, wie die
Kollegen da gerade auf die Beine gestellt haben, wirst du in
tausend Jahren nicht hinkriegen, dagegen bist du nur ein
Amateur.
Er kennt diese Form
von Selbstzerfleischung, Zweifel begleiten ihn, seitdem er
Puppenspieler geworden ist. Besonders wenn ein Stück
qualitativ aus dem alltäglichen Einheitsbrei herausragt,
zweifelt er an dem Können seines eigenen Spiels. Die neuartige
Führungstechnik der Marionetten, die gerade gezeigt wurde,
lässt ihm die Beweglichkeit seiner Puppen holzschnittartig
erscheinen und seine Botschaften wirken gegen diese Poesie wie mit
dem Holzhammer ausgeteilt.
Das Puppenspiel war
nie seine Priorität gewesen, und er ist letztendlich nur auf
Umwegen dazu gekommen. Eigentlich wollte er nach Beendigung des
Studiums der Visuellen Kommunikation an der Kunsthochschule in
Berlin ein berühmter Filmemacher werden. In der Filmklasse
wurde damals der Stummfilm ›Panzerkreuzer Potemkin‹
gezeigt, und die gewaltige Bildersprache von Sergej Michailowitsch
Eisenstein hatte seine Leidenschaft entfacht. Besonders die Szene
auf der Hafentreppe von Odessa, die russische Kosaken zeigt, die
ein Blutbad unter den Aufständischen anrichteten, empfand er
als cineastischen Wahnsinn. Nach diesem Film hatte er sich
geschworen: So etwas will ich auch einmal erschaffen.
Zwei Jahre später
war sein gesamter Elan an der Realität des Geldbeschaffens
zerrieben gewesen, und er hatte sein ehrgeiziges Vorhaben aus
lauter Frust an den Nagel gehängt. Sämtliche
Drehbücher waren regelmäßig von den verschiedenen
Filmförderungen abgeschmettert worden, sodass er zu guter
Letzt keine Chance mehr sah, je in seinem Leben einen eigenen Film
zu realisieren. Filme kosteten einfach zu viel Geld.
Genau in dieser
ausweglosen Situation bekam er eine Karte für das Prager
Marionettentheater, das gerade in Berlin gastierte. Das einfache
Frage- und Antwortspiel der beiden Puppen Spejbl und
Hurvínek, ihre hintersinnigen Lebensweisheiten,
öffneten seine Augen wie einst die Bilder
Eisensteins.
Er schaute gebannt auf
diese winzige, radikal andere Welt, die seine Seele berührte.
Ihm wurde klar, dass die Puppen neben den bewegten Bildern bestehen
konnten, und seine neue Leidenschaft war geboren. Zu diesem
Zeitpunkt kannte er nur die Augsburger
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