Poppenspael
gedacht, Kollegin?«
»Ziemlich
originell, oder? Hab mich ein wenig beim Kollegen Steinbeck bedient
und den Titel in Nuancen verändert.«
Erwin Siebenhüner
hatte Maria Teske entgeistert angestarrt, nach Worten gerungen und
nur »John Steinbeck? Du meinst nicht wirklich John
Steinbeck?« herausgebracht.
»Doch, genau den
hatte ich im Sinn!«
»Ich glaub es
nicht! Du durftest meinen Interviewtermin mit Wiktor Šemik
wahrnehmen, dem berühmten Wiktor Šemik, und du
führst diesen Mann in deinem Artikel vor wie einen
…«
»…
Puppenspieler!«
»Wie einen
Hanswurst!«, Siebenhüners Stimme wurde von
krächzenden Lauten überlagert. »Das ist keine
fundierte Kritik, das ist eine Zumutung. Du schreibst hier zum
Beispiel: ›Die Fabel ist schon lange mausetot, gezähmt
von der jeweils regierenden Moral. Wer also dieser antiquierten
Erzählform im 21. Jahrhundert etwas Systemsprengendes
abgewinnen will, sie sogar auf die Bühne stellt, dazu noch auf
eine Puppenbühne, dem sollte die Frage nicht erspart bleiben,
ob er allen Ernstes die Obrigkeit durch ein parabolisches Spiel mit
Puppen beeindrucken will?‹«
»Ich hasse
einfach Vergleiche zwischen Mensch und Tier. Ich bin kein Schaf,
das zur Schlachtbank geführt werden kann!«
»Das ist pure
Polemik, Maria. ›Ursache und Wirkung‹ ist ein Erfolg,
nicht nur in Deutschland. Und auch das Publikum in Husum war
begeistert, wurde mir gesagt, es gab überschwänglichen
Applaus.«
»Gerhard
Schröder erhält auch überschwänglichen Applaus,
deswegen gibt es trotzdem genug an seiner Politik zu
kritisieren.«
»Das ist der
größte Blödsinn, den ich je gehört hab,
Maria!«, Erwin Siebenhüner schloss die Augen, um sich
innerlich zu beruhigen. »Wenn ich deinen Artikel lese,
schleicht sich bei mir das Gefühl ein, du hättest die
Aufführung gar nicht gesehen. Deine Kritik lässt
überhaupt kein gutes Haar mehr an dem Stück, das ist
für mich völlig unprofessionell!«
»Wir sprechen
hier über Puppentheater, Erwin. Es geht um eine kleine, nette
Geschichte mit Schafen und nicht um ein Drama von
Shakespeare!«
»Wiktor
Šemik ist der Shakespeare der
Puppenspieler!«
»Ich wusste gar
nicht, dass Shakespeare so ein Stinkstiefel war!«
»Wie meinst du
das denn?«
»Hast du diesen
Puppen-Shakespeare interviewt oder ich?«
»Wenn ich nicht
krank gewesen wäre, hätte mit Sicherheit ein anderer
Artikel in der Zeitung gestanden.«
»Da hast du
ausnahmsweise mal recht, Kollege. Trotzdem ist und bleibt Wiktor
Šemik ein unangenehmer Typ, arrogant und besserwisserisch,
und in meinem Artikel bekommt der feine Herr wenigstens sein Fett
weg.«
Maria Teske merkt, wie
der alte Ärger über den Puppenspieler wieder in ihr
hochsteigt. Sie nimmt noch einen letzten Zug, tritt den Zigarillo
aus und kickt die Kippe ins nahe Gebüsch. Das flirrende Licht
des schönen Septembertages wirft ihr ihren scharfkantigen
Schatten vor die Füße.
Natürlich ist in
die Rezension von ›Ursache und Wirkung‹ ihre
persönliche Aversion gegen Šemik mit eingeflossen. Der
Kerl hatte sie während des gesamten Interviews bewusst
auflaufen lassen. Er war von so herablassender Art gewesen und
hatte sie bis tief ins Mark beleidigt. Da lag der Gedanke nah, dem
ungehobelten Klotz gehörig eins auszuwischen. Ohne allzu
große Bedenken hatte sie es in die Tat umgesetzt.
Sie verlässt das
sonnige Plätzchen vor dem Redaktionsgebäude, marschiert
schnurstracks an ihren Schreibtisch zurück, schnappt sich die
heutige Rundschau, schlägt den Husumteil auf und
überfliegt noch einmal ihre, zugegeben klammheimliche,
Schmähschrift.
Jetzt bloß keine
Reue, denkt sie trotzig. Selbstverständlich ist der Artikel
die Rache für die Hybris, ja schnöde
Überheblichkeit, dieses Möchtegerndramatikers. Erwin
reagiert doch von Natur aus schon übersensibel. Einmal
Feuilletonist, immer Feuilletonist.
»Maria, kommst
du mal eben!«, ätzt sich die beißende Stimme von
Think Big quer durch den Redaktionsraum. Der Chefredakteur steht im
Rahmen seiner Bürotür und genießt die allgemeine
Aufmerksamkeit, die sein Ruf unter den Kollegen erzeugt hat. Maria
Teske ist das nicht entgangen. Sie ahnt, dass alle Blicke an ihr
kleben, und versucht, bei ihrem kurzen Schaulauf in die
Löwenhöhle wenigstens wie ein Modell auf dem Catwalk zu
schreiten. Think Big schließt die Tür hinter ihr, geht
ohne ein Wort um den Schreibtisch und lässt sich in seinen
Drehstuhl plumpsen.
»Es ist eine
Beschwerde über dich auf
Weitere Kostenlose Bücher