Poppenspael
Puppenkiste, die in seiner
Jugendzeit im Fernsehen gezeigt wurde, und so reiste er wild
entschlossen nach Augsburg und bekam auf Anhieb einen Aushilfsjob
im Puppentheater angeboten.
Warum nicht, dachte er
kurz entschlossen, Hauptsache, du bist erst mal nah dran. Die
Augsburger waren 1984 gerade auf dem Weltall-Trip und spielten
Stücke wie ›Fünf auf dem Apfelstern‹ oder
›Schlupp vom grünen Stern‹. Es begann ein
mühsamer Weg: Platzanweiser, Kasse, Puppen anreichen, bis er
eines Tages das erste Mal eine der berühmten Marionetten
selbst spielen durfte.
Zwei Jahre
später, nachdem er mehrmals als Puppenspieler eingesprungen
war, wechselte er zum Seelenfaden-Puppentheater nach Karlsruhe.
Seine außergewöhnlichen Ideen und Einfälle
stießen hier sofort auf Interesse. Er ahnte förmlich,
welche Stücke beim Publikum ankamen, und in kürzester
Zeit hatte man ihn zum leitenden Kopf der kleinen Truppe
gemacht.
Die
niedergedrückte Stimmung von Peter Pohlenz verfliegt langsam
wieder. Er spürt eine Art Trotz hochsteigen, der sich gegen
seine zweifelnden Stimmen stellt. Was willst du eigentlich noch?
Alles, was du kannst, hast du dir schließlich selbst
beigebracht, das soll dir doch erst einmal einer
nachmachen.
Das
Menschenknäuel, in dem er steckt, schiebt und drückt, und
es keucht und stöhnt um ihn herum, bis ein Ruck durch die
Menge geht. Das Nadelöhr durch die Eingangstür ist
passiert, er wird in den Vorraum gespuckt, lockert seine Glieder
und schaut sich erleichtert um.
»Was ich Ihnen
noch sagen wollte, ›Bulemanns Haus‹ hat mir
überaus gut gefallen«, sagt eine Stimme direkt neben
seinem Ohr. Pohlenz wendet den Kopf und sieht in das schmale
Gesicht von Marcus Bender, dessen graublaue Augen ihn unsicher
fixieren, als er nicht sofort antwortet.
»Ich hoffe, es
macht Ihnen nichts aus, dass ich Sie so ohne Vorwarnung
anspreche«, bringt Bender verkniffen heraus und streicht sich
nervös die aschblonden Haare aus der Stirn. »Aber ich
dachte …«
»Spinn nicht
rum, Kollege«, entgegnet Pohlenz. »Ich freu mich immer,
wenn jemand meine Arbeit lobt. Außerdem duzt man sich unter
uns Puppenspielern.«
»Wie …
äh … wie du meinst«, stammelt Bender, steht einen
Atemzug unbeholfen vor ihm, um dann verhalten zu schwärmen:
»Also, das Stück, ich meine besonders das Ende ist sehr
gelungen. Während der ganzen Zeit wird dieser Bulemann zwar
immer unsympathischer, aber als Gott diese Kreatur nicht sterben
lassen will, bekommt man sogar Mitleid mit ihr. Der vermeintlich
Reiche ist plötzlich elendig arm.«
»Danke, danke!
So was geht runter wie Öl«, bedankt sich
Pohlenz.
Ȇbrigens,
diese Katze, in eurem Stück«, fragt Bender, »die
sogar einen Katzenbuckel machen kann, wie habt ihr diese geniale
Marionette bloß konstruiert? Wahrscheinlich streng geheim,
oder?«
»Geheim, nein!
Ist kein großartiges Geheimnis! Unser Puppenschnitzer hat den
Katzenkörper in einzelne Glieder zerteilt, mit
Lederbändern zusammengefügt und mit einem
zusätzlichen Lederband unter dem Bauch befestigt. So
lässt sich der Körper zu einem Buckel nach oben ziehen.
Sie haben … äh … du hast also mein Stück
›Schrödingers Katze‹ gesehen?«
»Ja …
also … ich sag mal, ein sehr … eigenwilliges
Stück, man könnte sagen … grotesk, mit grotesken
Zügen. Wenn ich ehrlich bin, hab ich leider nicht alles
verstanden. Aber ich finde trotzdem, dass du auf dem richtigen Weg
bist«, palavert Pohlenz und überlegt krampfhaft, wie er
aus der peinlichen Situation herauskommen kann. »Sei mir
nicht böse, aber ich muss mich mal kurz
erleichtern.«
Warum lobhudeln, wo es
nichts zu lobhudeln gibt, denkt er, klopft Bender übertrieben
loyal auf die Schulter, flüchtet in Richtung Toilette und
stellt sich vor das weiße Porzellanbecken.
Das war nicht gerade
fair, denkt er, während er gründlich die Hände
wäscht. Immerhin hat das Lob von Bender dich selbst wieder
aufgerichtet. Außerdem weiß ich genau, wie viel
Herzblut es kostet, ein eigenes Stück auf die Bühne zu
bringen.
Es sind noch 1 Stunde
und 54 Minuten bis zu den Morden.
Er erinnert sich
daran, wie viel Ausdauer er allein für die Recherche für
›Bulemanns Haus‹ gebraucht hatte. Storms Märchen
war immerhin in politisch bewegten Zeiten geschrieben worden. 1864
gab es in den deutschen Ländern eine riesige Umwälzung im
gesellschaftlichen Gefüge, Preußen und Österreich
führten Krieg gegen Dänemark, ein
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