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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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selbstständiges
Schleswig-Holstein war gescheitert. Und das Märchen selbst ist
tiefgründiger, als es auf den ersten Blick daherkommt.
Bulemann wird zum Beispiel als skrupelloser Supercargo beschrieben,
ein Mann, der fürs Be- und Entladen von Frachtern
zuständig ist. Die Geschichte berichtet unter anderem, dass er
seine schwarze Frau an den Kapitän eines Sklavenschiffs
verkauft.
    Alles Wissen, was er
über Monate zusammengetragen hatte, brachte er in seinem
Puppenspiel unter. Besonders stolz ist er auf die Szene, in der die
Bulemann-Marionette vor der offenen Geldkiste sitzt und das Gedicht
›Das Sklavenschiff‹ von Heinrich Heine wie die Stimme
seines Gewissens aus der Kulisse vorgetragen wird:
    Der Supercargo Mynher
van Koek
    Sitzt rechnend in
seiner Kajüte;
    Er kalkuliert der
Ladung Betrag
    Und die probablen
Profite.
    Sechshundert Neger
tauschte ich ein
    Spottwohlfeil am
Senegalflusse
    Das Fleisch ist hart,
die Sehnen sind stramm,
    Wie Eisen vom besten
Gusse.
    Im Durchschnitt
starben täglich zwei,
    Doch heute starben
sieben,
    Vier Männer, drei
Frauen – ich hab den Verlust
    Sogleich in die Kladde
geschrieben.
    Während der
Puppenspieler seine Hände mit Papierhandtüchern
abtrocknet, lässt er die Strophen im Kopf Revue passieren und
kehrt aufgekratzt ins Foyer zurück. Im Gewühl der auf den
Ausgang zuströmenden Menschen entdeckt er Ronja Ahrendt. Sie
sieht in seine Richtung, und er hebt den Arm, um ihr zuzuwinken. Da
bemerkt er, dass sie gar nicht nach ihm Ausschau hält.
Neugierig folgt er ihrem Blick und landet bei Marcus Bender, der
noch immer an der gleichen Stelle steht, wo er sich gerade von ihm
getrennt hat. Der Puppenspieler lächelt Ronja zu, und sie eilt
ihm entgegen. Mit einem schnellen Schritt zur Seite geht Pohlenz
hinter einer Gruppe älterer Frauen in Deckung. Von dort aus
sieht er mit an, wie die Krankenschwester Bender entschlossen zu
sich heranzieht und auf den Mund küsst. Die Szene versetzt
Peter Pohlenz einen kurzen Stich in der Brust. Er muss sich
eingestehen, dass der Anblick seinen Stolz verletzt.
    So ein durchtriebenes
Biest, denkt er abfällig. Dann war die miese Nummer im Dante
doch kein harmloser Flirt.
    Peter Pohlenz bemerkt,
wie sein Gefühl kippt, erst macht sich Ärger breit, dann
kocht Wut hoch. Die Dame hat mich voll verarscht, sagt seine innere
Stimme, während er das vermeintliche Liebespaar zur
Eingangstür hinausgehen sieht. Eine spontane Regung veranlasst
ihn, die Verfolgung aufzunehmen.
    Was soll der Quatsch,
fragt er sich. Sollen die Turteltauben doch dahin gehen, wo der
Pfeffer wächst.
    Doch ein
undefinierbarer Drang lässt ihn weitergehen, treibt ihn dazu,
den beiden auf den Fersen zu bleiben. Draußen ist es bereits
dunkel, Schaufensterbeleuchtung und Straßenlampen werfen ein
diffuses Licht auf die Bürgersteige. Er sieht das Paar in
einiger Entfernung vor sich die Neustadt hinunterschlendern. Sie
steuern auf das Gelände des ehemaligen Viehmarktes zu, das
gleich hinter dem Wasserturm beginnt. Pohlenz’ Schritte
werden allmählich schneller, der Rhythmus seiner Sohlen klingt
wie der 4-hebige Jambus von Heines Gedicht:
    Ich nahm den Toten die
Eisen ab;
    Und wie ich
gewöhnlich tue,
    Ich ließ die
Leichen werfen ins Meer
    Des Morgens in der
Fruhe.
    Es schossen alsbald
hervor aus der Flut
    Haifische, ganze
Heere
    Sie lieben so sehr das
Negerfleisch;
    Das sind meine
Pensionäre.
    Ist alles
verschlungen, dann tummeln sie sich
    Vergnügt um des
Schiffes Planken
    Und glotzen mich an,
als wollten sie
    Sich für das
Frühstück bedanken.
    *
    Marcus Benders
verrosteter Bulli parkt mutterseelenallein mitten auf dem riesigen
Asphaltplatz vor der Kreisverwaltung, genau dort, wo noch bis 1970
der Viehmarkt abgehalten wurde. Das trostlose Gelände
täuscht heute darüber hinweg, dass in Husums
Blütezeit hier 23.000 Rinder und 35.000 Schafe jährlich
den Besitzer wechselten. Die Stadt war lange Zeit die Hochburg des
Viehhandels in ganz Deutschland.
    Ronja ist froh, dass
sie Marcus Bender an ihrer Seite hat, als sie an der schummrigen
Stelle, an der der VW-Bus steht, ankommen. Weit und breit gibt es
keine Straßenlaterne. Die Krankenschwester hat sich wie eine
Klette an seinen rechten Arm gehängt und schnappt
übermütig mit den Lippen nach seinem Ohrläppchen.
Der Puppenspieler braucht einen Moment, bis er den
Autoschlüssel ins Türschloss bekommt. Kaum ist die
Wagentür geöffnet, klettert Ronja blitzschnell auf die
Sitzbank, reicht Bender ihre Hand und zieht ihn in

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