Populaermusik Aus Vittula
Anfängermanieren.
Ein paar weitere Runden folgten. Lainio schien selbst überrascht zu sein, dass er so lange mithalten konnte, da doch seine gesamte Familie tiefgläubig war und er selbst erst vor kurzem zu saufen angefangen hatte, sodass er eigentlich noch gar nicht die Übung hatte. Torinen verließ sich in aller Ruhe auf seine Erbanlagen und begann alle Alkoholiker seiner Familie aufzuzählen, er kam auf ein paar Dutzend, bevor er seitwärts umfiel und so liegen blieb.
Niila schleppte noch einen Kanister herbei. Leipä und Kaunis-vaara beäugten sich wie zwei windelweich geprügelte Boxer und tranken gleichzeitig aus. Lainio tat es ihnen gleich, genau wie Erkki, der nicht unter dem Wettkampfdruck stand, sondern immer noch in erster Linie mittrank, weil es ihm schmeckte. Leipä hatte inzwischen teilweise seine Sprache verloren und konnte nur noch Vokale ausstoßen. Kaunisvaara dagegen hatte Probleme mit dem Sehen und verpasste den Becher, wenn er ihm nicht direkt vor das eine Auge gehalten wurde. Aber er nutzte seine verbale Oberhand und begann Pajalas Streiklieder zu singen - fast ohne zu nuscheln. Lainio wünschte allen Kommunisten dagegen, sie sollten in Sibiriens schönen Winter heimkehren, und er behauptete außerdem, dass Lenin und Stalin miteinander Geschlechtsverkehr getrieben hätten, und dass Marx garantiert mitgemacht hätte, wenn er noch nicht begraben gewesen wäre. Dann betonte er noch einmal überrascht, wie unerwartet viel Spaß es machte, zu sündigen, und dass er schon viel früher damit angefangen hätte, wenn er das gewusst hätte. Anschließend, zufrieden mit dem Abend, lehnte er friedlich seinen Kopf an die Wand und schlief ohne Abendgebet ein.
Die Schlachtenbummler merkten, dass der Augenblick der Entscheidung nahte, und fingen deshalb mit ihren Schlachtrufen an. Drei stammten aus Kaunisvaara, Nachkommen der streikenden Arbeiter und Stalinisten. Sie waren schweigsam, wenn sie nüchtern waren, aber jetzt brüllten sie, dass ein kommunistisches Saufgelage sowohl größere Aufsässigkeit als auch schärfere Argumente besaß und dass man sich nirgends so phantastisch und fröhlich besaufen konnte wie bei den Festen der Roten Jugend. Einer der Pajalafans war aus Naurisaho und einer aus Paskajänkkä, und nachdem diese beiden erklärt hatten, sie seien Sozialdemokraten, stieg die Stimmung deutlich. Während Leipä und Kaunisvaara noch einen Becher hoben, drohten die Jungs aus Kaunisvaara in der üblichen Reihenfolge mit Prügeln, zuerst in schönen tornedalfinnischen Gleichnissen, dann im Klartext und schließlich mit Drohgebärden und starrem Blick. Die Sozialfaschisten sollten nach ein paar revolutionären Hammerschlägen nur noch Blut pissen. Die Pajalajungs wollten darauf höhnisch wissen, was die Revolutionäre denn in der Lokalgeschichte anderes ausgerichtet hätten, als einen Bus in der Gegend von Kengis zertrümmert und mit den Revolvern in abseits gelegenen Waldhütten herumgewirbelt zu haben. Die Kaunisvaarabande schrie darauf, dass so nur Zungen plapperten, die sich ins Arschloch der Obrigkeit geschlängelt hätten, und dass die lokale Arbeitergewalt heute genauso motiviert sei wie früher. Im letzten Moment stellte sich Erkki zwischen die beiden Gruppen und erklärte gewitzt, aber nuschelnd, dass er sich schon lange zum Kommunismus hingezogen fühle, aber auch viel Vergnügen bei den Jungen Falken gehabt habe, besonders, wenn sie zu Saft und Torte einluden, und dass er sich deshalb immer noch nicht so recht für eine politische Richtung entscheiden könne. Worauf beide Gruppen sofort versuchten, ihn zu krallen, um ihn auf ihre Seite zu ziehen, während ich alle Becher füllte.
Leipä war gezwungen, sich an die Wand zu lehnen, um nicht umzufallen. Kaunisvaara sah inzwischen auch mit dem einen Auge alles doppelt und musste außerdem noch das Augenlid mit dem Zeigefinger offen halten. Beide waren verstummt. Die Schmerzgrenze war überschritten, das Gift verspritzte jetzt nur noch Tod und Lähmung. Kaunisvaaras Arm donnerte schwer nach unten, das Auge fiel zu. Alle verstummten. Aber gerade als alle glaubten, die Sache wäre entschieden, sagte er klar und deutlich, dass ihm jemand helfen müsse, weil sein Arm ihm nicht mehr gehorche. Einer seiner Kumpel hielt ihm den Becher an die Lippen und kippte den Inhalt ins Dunkle. Leipä dagegen antwortete nicht mehr auf Ansprache, da jetzt auch sein Gehör ausgesetzt hatte, doch die Zeichensprache verstand er immer noch. Er konnte den Becher
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