Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Port Vila Blues

Port Vila Blues

Titel: Port Vila Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
Vom Netzwerk:
ein. Er musterte sie kurz: zwei Jugendliche mit schlanken, braunen Beinen und ein Einheimischer in weißem Hemd und einem schwarzen Baumwollgewand, das einem langen Wickelrock ähnelte. Reriki Island Resort stand auf der Brusttasche des Hemdes.
    Die Fähre legte ab. Crystal blickte zurück zum Ufer, betrachtete die Mischung aus geschäftigem Hafenviertel, vor sich hin rostenden Lagerhäusern und schrottreifen Frachtbooten, die zwischen den einzelnen Inseln verkehrten. Als die Fähre auf halber Strecke war, sah er, dass der Minibus des Reriki Island Resorts auf den Parkplatz fuhr. Er war dem Bus also nur wenige Minuten zuvorgekommen. Fahrer und Fahrgäste stiegen aus, und der Fahrer machte sich daran, das Gepäck neben dem Landesteg zu stapeln.
    Inzwischen hatte die Fähre angelegt und Crystal ging von Bord. Auf steilen Pfaden gelangte man nach oben zum Hauptgebäude des Feriendomizils. Die Anlage war landschaftsgärtnerisch sorgfältig gestaltet: gepflegte Palmen, Schraubenbäume, kleine Banyanbäume, Orchideen, mit Korallen gesäumte Gehwege, dazwischen kurz geschnittene Rasenflächen.
    Crystal setzte sich auf eine Bank, die mitten auf einer Rasenfläche stand. Mit einem Mal riss die Wolkendecke auf und die Strahlen der Mittagssonne umfingen ihn. Ganz in der Nähe machten einige Touristen genau dasselbe: Sie genossen die Sonne. Mit halb geschlossenen Augen saß er da, wartete und sah, wie ein Page eine Wagenladung Koffer zum Hauptgebäude rollte. Der karierte Koffer befand sich eindeutig darunter.
    Kurz darauf ging auch Crystal zum Hauptgebäude. Es waren eine Menge Leute dort: Touristen, Gäste der Anlage und Angestellte. Niemand schenkte ihm Beachtung.
    Die Gestaltung des Gebäudes war dem Versammlungsplatz eines Dschungeldorfes nachempfunden, wenn auch in größeren Dimensionen: mit offenen Seiten, frei liegenden Balken, einem hohen Dach, mit einem Hauch Bambus und Rattan. Neben der Rezeption fand man hier eine Bar und einen Speisesaal. Crystal setzte sich in eine der hinteren Ecken des weitläufigen Raumes an einen kleinen Rattantisch. Von hier aus hatte er den optimalen Überblick. Der Himmel blieb klar und so konnte er jedes Detail des Hafens erkennen, die Yachten und die weiter entfernt gelegenen Strände mit ihren Felsen, Mangroven und Kasuarinen. Er hatte aber auch die Bar im Blick und die Rezeption, wo ein Angestellter gerade das Gepäck der Neuankömmlinge bereitstellte.
    Eine halbe Stunde später war das gesamte Gepäck abgeholt oder zu den Hütten transportiert worden, mit Ausnahme des karierten Koffers. Crystal nippte an seinem Bier und ließ das Gepäckstück nicht aus den Augen. Müdigkeit überkam ihn. Doch eine kleine Posse, die sich an der Bar abspielte, weckte seine Lebensgeister; Bonjour-Rufe, als ein Mann mittleren Alters in die Bar kam und mehrere schwarze Angestellte umarmte. Offensichtlich hatte er bei ihnen mehr als einen Stein im Brett. »Bon jour«, erwiderten sie und er strahlte und erkundigte sich nach ihren Kindern.
    Crystal verzog sich hinter einen Paravent aus Rohrgeflecht, Furcht und Hass verursachten ihm Herzklopfen. Da war der Mann, da war der Auslöser für sein jüngstes persönliches Desaster. Crystal linste um den Paravent herum. Eindeutig De Lisle: um die fünfzig, schlaff und mit Fettansatz, in einem weißen Hemd und weißer Hose, dazu einen Strohhut mit rotem Band. Die hohe Luftfeuchte schien ihm zu schaffen zu machen. Sein Gesicht war gerötet und er fuhr sich mit einem blauen Taschentuch über Stirn und Nacken; er zwinkerte häufig, ein erhitzter, schwitzender Mann in den Tropen, umgeben von Bewunderern. In diesem Moment zog er ein Asthmaspray aus der Tasche, inhalierte hektisch, um sogleich mit flatterndem Doppelkinn die Augen zu schließen und sich auf die Spitzen seiner flotten, mit Lederquasten verzierten Schuhe zu stellen, als wolle er davonschweben; danach widmete er sich wieder den Leuten, die ihn umringten, lächelte und rief den grinsenden Barkeepern »Bonjour« zu.
    Lou Crystal nahm jedes verhasste Detail an diesem Mann wahr. Dann sah er, wie De Lisle den karierten Koffer nahm und hinunter zum Landesteg ging, ein wartendes Wassertaxi bestieg, das ihn auf die andere Seite des Hafens, zu einem kleinen Pier unterhalb einer Villa brachte, die auf einer Klippe thronte.

    NEUN

    Das Haus lag auf einer Klippe, zwei Kilometer entfernt vom Postamt im Zentrum Port Vilas. Man hatte es 1980, wenige Jahre vor der Unabhängigkeit für den Direktor einer französischen Bank

Weitere Kostenlose Bücher