Port Vila Blues
auch Belastendes über Riggs, Mansell, Niekirk, Crystal und Springett enthielt — in seinen Augen das einzig Nützliche, das all die Ermittlungen und Royal Commissions, denen er im Laufe der Jahre vorgesessen hatte, mit sich gebracht hatten. All diese Namen: Pädophile, Kuriere für illegale Geldtransfers, Cops, die Schutzgelder kassierten oder sich nebenberuflich als Einbrecher und Hehler betätigten, Zeitgenossen, die einen Meineid geleistet hatten, und Beamte, die in die öffentlichen Kassen langten. Das war allgegenwärtig und ein natürliches Phänomen des Weltenlaufs wie die Muttermilch.
Die Sache war die: Die Personen hinter diesen Namen hatten allesamt etwas zu verbergen und konnten De Lisle so potentiell von Nutzen sein. In dem einen oder anderen Fall hatte er sich gedulden müssen. So hatte er zum Beispiel über keinen Kurier verfügt, bis der Name Lou Crystal im Verlaufe einer Ermittlung in Sachen Sextourismus nach Asien aufgetaucht war.
Nach dem Asahi-Job war Schluss. Er würde sich auch aus der Juristerei zurückziehen, nach Port Vila gehen und hier leben. Das gesamte vergangene Jahr hatte er sich mit diesem Gedanken getragen, ihn aber verworfen, eingedenk der Tatsache, dass nicht davon auszugehen war, dass Springett und Niekirk ewig geduldig auf ihren Anteil warten würden. Außerdem sahen sie mit eigenen Augen, was jeder Coup wert war. Anders als er verfügten sie zwar nicht über Mittel und Wege, dergleichen Zeug in Eigenregie zu versilbern, aber sie waren gestandene Männer, die über kurz oder lang gierig werden könnten, ungeachtet dessen, was er gegen sie in der Hand hatte und was sie für eine lange Zeit aus dem Verkehr ziehen könnte. Wie ernst war es ihm überhaupt damit, diesen Dreck gegen sie zu verwenden? Wenn er es täte, würden sie ihn mitreißen, soviel war sicher. Also, höchste Zeit, sich abzusetzen, solange er ihnen gegenüber noch im Vorteil war, höchste Zeit, die Beute aus den Banküberfällen flüssig zu machen — das Geld waschen, die Juwelen verhökern — und Niekirk und Springett auszuzahlen.
De Lisle schloss den Safe, sicherte die Yacht und machte sich auf den Weg, die Stufen zu seinem Haus zu erklimmen. Langsam nahm er Stufe für Stufe. Nur siebenundzwanzig Grad, aber neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit; er hatte nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter sich, da war er bereits außer Atem und Hemd und Unterwäsche klebten an seinem Körper.
Er blieb stehen, um Luft zu holen. Morgen arbeiten. Vanuatu mangelte es an Rechtsanwälten und Richtern, vor allem im Norden. Das Büro der Staatsanwaltschaft und das des Kronanwalts bereiteten die Fälle vor, aber sie waren unterbesetzt und die mit dem Tagesgeschäft betrauten Mitarbeiter wurden zugeschüttet mit Forderungen von Dschungelaffen und Ausländern, die Hilfe bei ihren Eingaben und Klagen erwarteten. Um diese Belastung zu verringern, saß De Lisle mehrere Male im Jahr dem Obersten Gerichtshof von Vanuatu vor. Bezahlt wurde er aus Mitteln des Australian Government’s Staffing Assistance Schemes, und das Ganze gefiel ihm außerordentlich. Die Hälfte der Zeit lauschte er der Beweisaufnahme in Open-Air-Gerichtssälen, nur Bambus und Palmwedel zwischen sich und dem blauen Himmel. Überwiegend britisches Recht, ein wenig gespickt mit französischer Rechtsprechung und Kanakenrecht. Als er das letzte Mal in der kleinen Republik gewesen war, musste er sich einem Fall gegenüber blind stellen, in dem es um einen brutalen Übergriff seitens der Polizei ging. Ein Häuptlingsrat hatte die Polizei gerufen, um einen Mann zu verwarnen, den man der Hexerei verdächtigt hatte. Doch die Situation war außer Kontrolle geraten und der Mann seinen Verletzungen erlegen. Kein Verlust, trotz allem.
Nicht zu vergessen, dass die Ausflüge nach Vanuatu sich bestens dafür eigneten, das Zeug, das Niekirk und seine Leute bei diesen Bankrauben in Victoria erbeutet hatten, unauffällig zu verlagern. Es war absehbar, eines Tages würde die Welt aus den Fugen geraten — Korruption, Werteverfall, der Mob in den Straßen — und De Lisle wollte gegen diese Form des Zusammenbruchs gewappnet sein.
Er setzte wieder einen Fuß vor den anderen und kraxelte die Stufen hoch. Tief einatmen, lautete die Antwort, tief einatmen, um den Herzschlag in den Griff zu bekommen, tief einatmen, um der Konzentration und des klaren Verstandes willen. Um die eigene Mitte zu finden, um im Jargon eines Dummkopfes zu sprechen, der letzte Woche darauf bestanden hatte, eine
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