Porterville - Mystery-Serie: Edition I (Folgen 1-6)
lückenlose Überwachung möglich.
In dem Gebäude mit der Hausnummer 273 wurde ich bereits am Eingang von Mr. Landino empfangen. Er führte mich in sein kleines Büro und erklärte mir den Auftrag. Von nun an sollte ich über alles Auffällige von meinen Mitschülerinnen berichten. Schriftlich und mündlich. Jeden Donnerstagnachmittag in Mr. Landinos Büro. Besonders meine Freundin Emily Prey müsse ich im Auge behalten. Man mache sich Sorgen um sie. Ihre Gedanken und Gefühle wiesen eine gewisse Fehlbarkeit auf, die aber durchaus zu korrigieren sei. Vorausgesetzt ich hielte Mr. Landino auf dem Laufenden. Alles sei wichtig, betonte er. Zum Beispiel, was gesagt wird und ob der Gesichtsausdruck mit dem Gesagten eine Harmonie bildet.
Ich wäre vor Stolz beinahe geplatzt, als mir Mr. Landino am Ende unserer ersten Zusammenkunft anvertraute, dass er mich sehr wahrscheinlich für eine Spezialausbildung bei der IFIS empfehlen würde. Dann schenkte er mir das erste Sammelbild. Es hängt seitdem über meinem Bett und zeigt einen ergrauten Offizier der Instanz, der einen kleinen Jungen auf dem Arm trägt. Das Kind ist pausbäckig und lacht. Der IFIS-Mann hingegen scheint die Umgebung nach einer Gefahr abzusuchen. Das Bild trägt den Titel: Sicherheit verlangt Misstrauen.
- 2 -
Tag 186, Jahr 0048
Alle vierzehn Tage werden wir mitten in der Nacht von Trommelwirbeln geweckt. Sie dringen aus den Lautsprechern im Flur. Eigentlich dienen die Lautsprecher der Übertragung von Anweisungen des Lehrpersonals und diversen Alarmübungen. Aber zweimal im Monat treibt uns dieses Getrommel aus den Betten.
Wir haben fünf Minuten Zeit, um uns Arbeitskleidung anzuziehen. Graue Overalls mit Reißverschlüssen an der Vorderseite und schwere Stiefel.
Ich stehe schon nach drei Minuten im Flur und bin somit mal wieder die Erste. Nach und nach beziehen die anderen Schülerinnen Stellung. Immer zu zweit neben der Tür zu ihrem Zimmer. Seit Emilys Verschwinden bin ich allein. Die Vorstellung, dass sie nicht zurückkommt, macht mich wütend. Wie kann man nur so dämlich sein und einfach abhauen? Wenn sie gefunden wird, muss sie mit einer schweren Bestrafung rechnen. Das gilt auch für Jonathan. Sein Großvater, der Bürgermeister, ist ein Befürworter von absoluter Gleichbehandlung. Niemand verfügt über irgendwelche Sonderrechte.
Mrs. Perot kommt. Ihre stampfenden Schritte hört man schon von Weitem. Sie biegt um die Ecke und brüllt: „Guten Morgen, Mädchen!“
„Guten Morgen, Mrs. Perot!“, antworten wir im Chor.
Sie schreitet an uns vorbei, überprüft unser Aussehen und schnippt einem Mädchen mit dem Zeigefinger unters Kinn, weil es nach Mrs. Perots Meinung nicht eifrig genug aussieht. An mir hatte sie noch nie etwas auszusetzen.
„Was ist das?“, fragt Mrs. Perot mit einem scharfen Unterton in der Stimme. Sie bleibt direkt vor Debra stehen und deutet auf den Overall des Mädchens.
Ich beuge mich etwas vor, um zu sehen, was mit Debra nicht stimmt.
„Da ist ein Fleck!“, brüllt Mrs. Perot. Ich kann zwar keinen Fleck erkennen, aber Mrs. Perot wird das sicher besser beurteilen können. Debra ist bisweilen etwas nachlässig und macht jetzt auch noch etwas, dass sie lieber sein lassen sollte. Sie widerspricht.
„Da ist doch gar kein Fleck.“
„Dann bezichtigst du mich der Lüge?“ Mrs. Perot tritt einen Schritt zurück. Ihr steht der Mund offen.
„Nein, aber ich ...“, stammelt Debra.
„Sei still!“ Mrs. Perot winkt mich herbei. „Tori wird mir jetzt bestätigen, dass da ein Fleck ist. Nicht wahr, Tori?“ Sie piekt mit dem Finger auf eine Stelle, an der sich Debras Bauchnabel befinden muss. „Da ist es schmutzig.“
Das Licht im Flur ist hell, aber ich kann keinen Schmutz entdecken. Der Overall ist sauber.
„Nun?“, drängt Mrs. Perot. „Du willst dich doch nicht etwa auch gegen mich verschwören.“
„Ein Fleck“, stimme ich zu.
„Alle, die den Fleck auch sehen können, heben die Hand“, fordert Mrs. Perot.
Es ist absurd. Die meisten Mädchen können von ihrer Position aus gerade mal Debras Kopf erkennen. Aber alle Arme richten sich zur Flurdecke.
„Debra wird eine Sonderaufgabe übernehmen“, verkündet Mrs. Perot und geht, ohne Debra eines weiteren Blickes zu würdigen.
Wir folgen ihr. Auf uns warten mindestens fünf Stunden körperliche Ertüchtigung im Freien. Erst dann gibt es Frühstück.
Debra hält den Kopf gesenkt. Die kastanienbraunen Haare verbergen ihr Gesicht. Sie murmelt etwas,
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