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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Clegg
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sagt, die sei nur für Gäste bestimmt. Eine Frau, vermutlich seine Mutter, kommt hinzu und bekräftigt, es sei kein öffentliches WC .
     
    Ich muss mich umziehen, und da ich langsam auch wieder einen Zug brauche, bestelle ich drei Gerichte und ein paar Brötchen mit Ei zum Mitnehmen und frage leicht gereizt, ob ich
jetzt
zur Toilette gehen darf. Die Frau sagt ja, wenn ich vorher bezahle. Das tue ich. Ich gehe an der Theke und an der Küche vorbei zu einem winzigen Klo. Zum Glück hat es ein Fenster und einen Spiegel. Ich drehe den Wasserhahn auf und betätige die Spülung, damit man das Klicken des Feuerzeugs und das Knacken der Droge beim Anzünden nicht hört. Ich lade die Pfeife und brenne sie an. Dann stopfe ich sie erneut, weil ich nach der ersten Ladung noch längst nicht entspannt bin. Als ich ziehe, springt der Stein aus dem Röhrchen, und das Glas splittert. Das passiert mitunter, wenn man ein großes, kaltes Stück Crack in die noch heiße Pfeife steckt und sie zu schnell anzündet. So leise wie möglich lese ich die Splitter auf, finde den zum Glück noch ganzen Stein und stecke ihn wieder in die angeknackste Pfeife. Inzwischen bin ich so erregt, dass ich noch mehr hineinpacke. Das ist eine geballte Ladung; ich blase den Rauch aus dem Fenster und spüre dankbar, wie das Gefühl der Erleichterung über mich kommt. Ich schäle mich aus dem Pullover und betrachte meinen Oberkörper in dem kleinen Spiegel. Überall stehen die Rippen und Knochen hervor, und meine Haut ist hellgrau. Kleine Kratzer und Brandmale sind auf Armen, Brust und Bauch verstreut. Zum ersten Mal habe ich keine Lust auf Sex, als wäre ich in einen Rauschzustand anderer Art gelangt, in dem Sex keine Rolle mehr spielt. Das beruhigt mich, denn den Körper da im Spiegel möchte ich niemandem zeigen. Ich sehe mir die schlimmsten Brandmale und Kratzer, die an den Händen und Unterarmen sind, genauer an, und es fröstelt mich. Noch einmal schaue ich in den Spiegel und sehe, wie wenig Haut ich habe – ein hauchdünner, straff gespannter Knochenbezug. Es sieht aus, als wäre ich halbverhungert einem Feuer entstiegen. Noch nie habe ich meine Beckenknochen so vom Bauch abstehen gesehen wie jetzt, und als ich den Pullover überziehe, bin ich froh, dass dieses herrliche, dicke Wunderwerk aus Wolle das alles verhüllt. Ich wasche mir Gesicht und Hände, entferne diverse Flecke von meinen Jeans und wische Haare, Staub und Fusseln vom Schirm meiner treuen Mütze. Finde Visine in meiner Jacke und tränke mir die Augen damit. Spüle den Mund mit Flüssigseife aus und reibe mir auch welche unter die Achseln, um etwaige Ausdünstungen von dort zu verdecken. Ich zünde mir noch eine Pfeife an, blase drauf, damit sie abkühlt, wickle sie ein, stecke den alten Pullover in die Tragetasche und öffne die Tür, die zur Küche und nach vorn zum Imbiss führt. Dort sind zwei Männer in dicken Jacken, dunklen Hosen und grauen Schuhen, ausgemachte Penneys, und sie sehen mich direkt an, als ich zur Theke gehe. Das Essen ist eingetütet, ich schnappe es mir, danke der Frau und dem Jungen und verschwinde. Ich gehe nach Westen, und als ich mich umdrehe, sehe ich, wie die beiden Penneys aus dem Imbiss kommen und hinter mir her marschieren. Ich wechsle mehrmals die Richtung, und nach etwa zwanzig Minuten meine ich sie abgeschüttelt zu haben. Ich werfe das chinesische Essen und die Tragetasche mit meinem alten Pullover in einen Mülleimer. Mein Herz schlägt heftig, und ich habe Angst, vor lauter Panik die Anmeldung im SoHo Grand zu vermasseln. Da ich aber zu nervös bin, um erst noch in einer Bar etwas zu trinken, denke ich, Augen zu und durch. Ich brauche nur das Zimmer. Wenn ich erst da bin, wird alles gut. Bin ich erst da, kann ich den Zimmerservice rufen, Happy anrufen, und ein paar Flaschen Wodka trinken, um der Angst die Spitze zu nehmen. Ich konzentriere mich gedanklich auf die Verschnaufpause im Hotelzimmer, aber insgeheim ist mir schon klar, dass nichts mehr geht, da ich nur noch wenig Geld habe, kein Kilo mehr zu viel und kaum noch eine Möglichkeit, mich zu verstecken. Irgendwie naht das Ende.
     
    Ich gehe in ein Deli an der Ecke vorm Hotel, kaufe zehn Feuerzeuge, sechs Schachteln Schlaftabletten und ein Sechserpack Bier, damit ich gleich, wenn ich im Zimmer bin, etwas zu trinken habe. Zu gern möchte ich eine Pfeife rauchen, bevor ich das Hotel betrete, aber es heißt, jetzt oder nie. Ich gehe in den Neubau aus Backstein und Glas, und während ich so langsam

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