Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Geldschlitz und sehe erst gar nicht nach der Uhr.
Die Geschäfte südlich der Houston sehen weihnachtlich aus. Ungewöhnliche Schaufenster – animiert, inszeniert, intelligent ausgeleuchtet – locken entlang der Wooster und schüchtern ein. Ich erinnere mich, wie ich mit der vierten oder fünften Klasse nach New York gekommen bin, um die Weihnachtsshow in der Radio City Music Hall zu sehen. Die Straßen im Zentrum waren vollgepackt mit Touristen und New Yorkern, die zu Hunderten Schlange standen vor den Schaufenstern von Saks Fifth Avenue und Lord & Taylor. Ich weiß noch, dass mir nicht aufging, was an den Fenstern so wichtig war, aber dass ich es aufregend fand, etwas so Bedeutendes und weithin Bekanntes mitzuerleben. In der Radio City Music Hall war es genauso. Meine Mutter hatte mir gesagt, es sei das beste Theater der Welt und die Rockettes die schönste und talentierteste Truppe, die es gab, ein Magnet für Menschen aus aller Welt. Als meine Klasse endlich durch das Gewühl nach Radio City vordrang, blieb mir fast die Luft weg. Hier waren wir, an dem Ort, zu dem Menschen von überallher kamen, um die Rockettes zu sehen (was die eigentlich machten, ahnte ich immer noch nicht). Das Golddekor und der rote Teppich ließen das »Weihnachten in New York«-Adrenalin noch schneller in mir kreisen, so dass ich vor Aufregung buchstäblich zitterte. Oben am ersten Treppenaufgang gab es Münztelefone. Ich ging schnurstracks zum nächsten Apparat und wählte die Null. Der Vermittlung sagte ich, ich wolle per R-Gespräch zu Hause anrufen. Es klingelte, aber niemand hob ab. Anrufbeantworter gab es damals noch nicht. Mailbox auch nicht. Also legte ich auf. Aber ich platzte förmlich und musste mit jemandem darüber reden, musste die Aufregung irgendwie loswerden. Ich wählte erneut die Vermittlung, geriet an eine andere Telefonistin und schilderte ihr in glühenden Farben, wo ich war, was es da zu sehen gab und was ich bei diesem Besuch in der Stadt, einem meiner ersten, schon alles gesehen hatte. Von der Veranstaltung an diesem Abend weiß ich nichts mehr, aber an den Anruf erinnere ich mich genau – die nette Telefonistin, die freundliche Stimme und dass sie mir sagte, ich solle zu meinem Lehrer gehen und aufpassen, dass ich mich nicht verlaufe.
Ich wandere an den durchdesignten bunten Schaufenstern der Wooster vorbei und überlege, was für eine Jahreszeit es ist. Es sieht zwar nach Weihnachten aus, aber das kann wohl nicht sein. Erst nach einer Weile weiß ich wieder, dass es März ist. Ich betrete einen großen, hellen Laden mit niedrigen Tischen und eleganten Kleiderständern, an denen offenbar sorgfältig sortierte Ware hängt. Ich frage die dunkelhaarige Verkäuferin, deren blaue Augen golden und rot schillern wie Opale, ob sie Rollkragenpullover für Herren haben. Ich sei zu Besuch, sage ich, und der, den ich anhätte, sei nicht mehr zu gebrauchen. Sie schaut an mir runter, und ihr Blick und ihr Stirnrunzeln geben mir recht. Sie schickt mich zur Treppe ins Souterrain. Unten neben der Treppe steht ein Korb mit zusammengefalteten Kaschmir-Rollkragenpullovern, und den kleinsten, der da ist, weinrot mit Zopfmuster, nehme ich mit in die Umkleidekabine. Sobald die Tür ins Schloss fällt, mache ich mir eine dicke Ladung, huste laut, um das Klicken des Feuerzeugs zu übertönen, und ziehe gierig an der Pfeife. Ich blase den Rauch von mir und schließe ein paar Minuten die Augen. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll, lehne mich gegen die Wand und lasse mich von der Droge warm einhüllen, um nicht daran zu denken. Diese kleine Kabine, nichts als ein Würfel aus Licht, Spiegelglas und weißer Farbe, gibt Sicherheit, und einen Moment lang bin ich ruhig.
Ich lasse mich an der Wand heruntergleiten, damit sich die angespannten, verkrampften Muskeln lockern. Es ist ein Gefühl, als könnten mir die Gliedmaßen bis auf den letzten Finger abfallen. Als ginge mein allzu flüchtig zusammengesetzter Körper aus dem Leim. Plötzlich sehe ich wieder Noah vor mir, wie er im Japonica weint. Den Kopf schüttelt und schluchzt. Mir sagt, ich solle nicht reden, ihm nichts erklären, er wisse genau, dass ich high sei, man sehe es mir bis in die Haarspitzen an.
So schnell wie möglich lege ich nach. Es dauert ein paar Züge, bis das Schreckensbild von Noah verblasst, und nach ein paar weiteren Hits ist es dann endgültig ausgetrieben. In der kleinen Kabine steht der Qualm, und ich weiß, dass ich weg muss. Nach
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