Porträt eines Süchtigen als junger Mann
der nächsten dicken Pfeife fällt mir plötzlich das SoHo Grand Hotel ein, das in der Nähe sein muss und in dem ich zum Glück nicht bekannt bin.
Ich setze mich aufrecht und wiege mich im Gedanken an ein sauberes, frisches Hotelzimmer, während sich immer mehr Rauch unter der Decke der Kabine kräuselt. Von Tatendrang erfüllt durch meinen Plan, die Aussicht auf eine Bleibe, lasse ich das Feuerzeug abkühlen und kehre in den Laden zurück. Im Gehen merke ich, dass meine Jeans nicht mehr oben bleibt. Obwohl ich schon meinen alten blauen Kaschmirpullover hineingesteckt habe, rutscht die versiffte, abgewetzte Levis dauernd runter. Bevor ich in das Hotel gehe, muss ich mir ein neues Loch in den Gürtel stanzen lassen.
Das Souterrain des Ladens ist jetzt heller, als ich es in Erinnerung hatte, und kleiner. Ich befürchte, dass man mich rauchen gehört hat und jetzt den Qualm riecht, der aus der offenen Kabinentür dringt. Ohne den Pullover anzuprobieren, laufe ich zu der Frau mit den opalblauen Augen hoch und sage ihr, ich möchte ihn mitnehmen. Sie zieht meine Kreditkarte durch, und als sie eine Tasche hervorholt, auf der unten quer
Christopher Fischer
steht, sehe ich mich in dem Laden um. Der gepflegte, unergründliche Chic von vorhin ist verschwunden, jetzt wirkt alles zusammengestoppelt und dünn. Die Tasche sieht komisch aus, zu schwer, zu bunt, zu protzig, wie ein Requisit aus einem Kellertheaterstück übers Einkaufen. Die Opaläugige schlägt den Pullover in Seidenpapier ein, steckt ihn in die Protztasche, gibt mir meinen Bon und wünscht mir einen schönen Abend. Ich merke, wie mir die Realität entgleitet, als ich die Tasche nehme. Ist das Ganze eine Falle? Aber wie hätten sie wissen sollen, dass ich herkomme? Ich haste aus dem Laden hinaus auf die Wooster Street.
Ein paar Takte später höre ich, wie jemand schrill, nervös, mit Südstaatenakzent meinen Namen ruft.
Bill, oh, hallo, Bill
. Ich erstarre. ROSIE ?!? Die crackrauchende alte Konzeptkünstlerin aus der 23rd Street? Was macht sie hier? Herrgott, steckt sie da etwa mit drin? Ich blicke mich um und sehe kein bekanntes Gesicht. Ich habe Herzklopfen, und ein jäher Blutandrang im Kopf schnürt mir die Kehle zu. Dann ist sie da: Barbara. Eine reizende, immer tadellos gekleidete Frau, die ausländische Verlage berät, ein sogenannter Scout. Ich kenne sie, wenn auch nicht gut, seit Jahren. Sie mustert mich besorgt, aber nicht unfreundlich, und ich sage kurz hallo und gehe weiter, bevor sich ein Gespräch entspinnen kann. Sie zu sehen lenkt meine Gedanken prompt aufs Büchermachen, auf die Agentur, Kate, unsere Angestellten, meine Autoren – Herrgott, so viele Autoren. Und damit erwachen die Namen, Gesichter und Stimmen sämtlicher Verleger, Lektoren, Agenten, Scouts, Werbeleute und Assistenten der Reihe nach zum Leben wie ein großes laufendes Wandbild – und alle sind empört und schimpfen. Dann stellen sich die Erinnerungen an Noah und an den Entzug wieder ein. Die Protztasche in der einen Hand und meine Kreditkarte in der anderen, haste ich westwärts zum SoHo Grand.
Ich sehe – danke, lieber Gott, danke – ein Lederwarengeschäft, gehe sofort hinein, nehme meinen Gürtel ab und bitte darum, mir ein paar neue Löcher einzustanzen. Das ist jetzt das dritte Mal in den letzten fünf Wochen. Einmal habe ich mir irgendwo in einem Hotelzimmer mit dem Messer selbst zwei allerdings weniger feine Löcher hineingestochen. Der alte Knabe hinter der Wand aus Hand- und Brieftaschen beäugt den abgewetzten Gürtel und mich vorsichtig und sagt:
Sie brauchen mehr als nur ein paar
. Er macht vier, und als ich den Gürtel umbinde, passt er mühelos ins letzte Loch. Ich überlege, ob ich mir noch eins machen lassen soll, aber der Mann hat so schnell gelocht und abgerechnet, dass ich glaube, er möchte mich loswerden. Ich gehe ein paar Straßen weiter in Richtung Hotel, weiß aber, dass ich meinen siffigen Pullover ausziehen muss, bevor ich hinkomme. Ich trage ihn seit über einem Monat. Er ist völlig ausgeleiert, und sicher bin ich mir zwar nicht, aber ich befürchte, die undefinierbare streifige Kruste vorn und am Kragen fängt an zu stinken.
Ein paar Ecken weiter sehe ich einen kleinen chinesischen Imbiss. Es ist so einer mit gerade mal drei oder vier Tischen, hauptsächlich Straßenverkauf. Als ich eintrete, sind keine Gäste da. Ich gehe zur Theke und frage, ob ich die Toilette benutzen darf, und der Junge, er ist höchstens sechzehn,
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