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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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die Tür gerichtet.
    Im Durchgang neben dem Haus knackte etwas, Füße raschelten im Laub, der Schritt klang rasch und energisch. Ich trat ans Fenster und schaute durch die verschmierte Scheibe. Unten im Schatten bewegte sich eine Gestalt. Nicht Rahim. Eine Frau.
    Ich schlüpfte ins Badezimmer und presste mich gegen die Wand, die Eisenstange in der Hand. Die Frau kam die Treppe herauf, ihre Absätze hallten auf den eisernen Stufen wider. Vor der Tür blieb sie stehen.
    »Rahim?«, rief sie. Und dann auf Portugiesisch: »Bist du da?«
    Die Katze antwortete mit einem klagenden Miau, und die Frau versuchte es noch einmal, diesmal leiser und vorsichtiger. »Rahim?«
    Sie wartete noch einen Moment, dann hörte ich ihre Schritte auf der Treppe.
    Ich wartete, bis sie unten war, und glitt aus dem Badezimmer ans Fenster. Wenn sie von diesem Versteck wusste, musste sie Rahim ziemlich gut kennen.
    Sie kam aus dem Durchgang und ging in Richtung Bushaltestelle und Hafen. Selbst von weitem konnte ich sehen, dass sie nicht unattraktiv war. Sie trug einen langen Wollmantel und Stiefel, das schwarze Haar floss ihr über Schultern und Rücken. Sie ging bis ans Ende der Straße und drehte sich noch einmal um. Da sah ich ihr Gesicht.
    Graça Morais.
    Sie verschwand um die Ecke.

Zehn
    Tazmamart. Wie hatte Valsamis es doch gleich genannt? Irgend ein Wüstenloch für Andersdenkende. Das Schlimmste, was ein Mensch einem anderen antun kann, hatte Rahim gesagt. Zehn Jahre, die wir uns nicht einmal annähernd vorstellen können. Von aller Welt verlassen, hockt man in einer Gruft im Sand, ernährt sich von Schaben und stinkendem Regenwasser, atmet durch einen einzigen Luftschacht, der eine dünne Scheibe Himmel zeigt. Zehn Jahre, in denen Rahim jeden Tag darum gebetet hatte, sein Bruder möge tot sein.
    Driss war Student gewesen, als sie ihn verhafteten, ein kühner junger Mann, der auf den Straßen von Rabat Demokratie predigte. Doch nach Tazmamart war alles anders. Der Driss, den ich in Lissabon kennenlernte, war nüchtern und gebeugt, er hatte etwas von einem Asketen. Und obwohl er fast den ganzen August über uns bei gewohnt hatte, sprachen wir kaum miteinander.
    Er mochte mich nicht und behandelte mich mit dem gleichen Zorn, mit dem mir viele von Rahims marokkanischen Freunden begegneten. An dieses Stigma hatte ich mich gewöhnt. Ich war die Frau, die alle ficken wollten und die sie dafür hassten. Doch Driss war auch zornig auf Rahim, weil er eine Schweizer Uhr und eine deutsche Hi-Fi-Anlage besaß. Und mich.
    Driss hatte ein Kurzwellenradio mitgebracht. Nach dem Abendessen setzte er sich immer in eine Ecke der Küche und hörte BBC oder Radio France. Die Iraker waren damals in Kuwait einmarschiert, doch das weit entfernte Scharmützel kümmerte uns nicht sonderlich.
    Driss hingegen hörte aufmerksam zu, und allmählich folgten die anderen seinem Beispiel. Ich konnte sie hören, nachdem ich zu Bett gegangen war, ihre Stimmen im Dunkeln, ihr hartes, kehliges Arabisch. Das marokkanische Arabisch war für mich noch rätselhafter als die libanesische Variante, und von einzelnen Wörtern abgesehen verstand ich kaum etwas. Doch ihr Zorn und ihre Entrüstung waren nicht zu überhören.
    Zuerst sprach hauptsächlich Driss, dann fielen die anderen nach und nach ein. Es waren Männer, die ich von Rahims Abendessen kannte, verzweifelte Männer, die ein oder zwei Wochen in der Wohnung verbrachten und plötzlich wieder verschwanden.
    Und irgendwann hörte ich auch Rahims Stimme.
     
    John Valsamis trat ans Fenster und schaute über den Luftschacht hinüber zu Nicoles halb geschlossenen Vorhängen. Dazwischen war ein Streifen des Zimmers zu erkennen. Sie war bereits im Morgengrauen verschwunden und bis zum Abend nicht zurückgekehrt. Valsamis konnte es ihr kaum verübeln, niemand wurde gern verfolgt, doch es gefiel ihm nicht, dass sie zwei Tage hintereinander so lange unterwegs war.
    Sein Handy klingelte, und er stellte den Ton am Fernseher ab. CNN verstummte. Auf dem Bildschirm bogen weiße Geländewagen, die deutlich sichtbar als UNO-Fahrzeuge gekennzeichnet waren, auf ein eingezäuntes Gelände ab. Die Räder wirbelten feine Staubwolken auf. FALLUDSCHA, IRAK war darunter zu lesen.
    »Ja?«, meldete sich Valsamis.
    »Schon etwas von unserem marokkanischen Freund gehört?« Morrows Stimme und das bekannte Husten.
    Wir werden alt, dachte Valsamis, alle werden alt. »Noch nicht.«
    »Und das Mädchen?«
    Valsamis zögerte etwas zu lange.
    »Du hast

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