Portugiesische Eröffnung
Verderb ausgeliefert«, klagte er und holte ein Päckchen Zigaretten aus der untersten Schreibtischschublade. »Wenn es nach mir ginge, würden wir Portwein statt Tee trinken. Heutzutage glaubt jeder, er könnte ewig leben. Ich weiß gar nicht, wozu das gut sein soll.« Er klopfte eine Zigarette aus dem Päckchen und bot sie mir an, doch ich lehnte ab.
»Wohnst du in der Stadt?«
»In der Pensão Rosa im Bairro Alto«, erwiderte ich.
Morais zündete seine Zigarette an und nahm mit geschlossenen Augen einen tiefen Zug. »Ich bin mir nicht ganz sicher«, setzte er vorsichtig an und schien die Worte mit Bedacht zu wählen, »aber ich habe gehört, dass er eine Werkstatt in Cacilhas besitzt. In einer ehemaligen Molkerei, nicht weit vom Fährhafen.«
Drei alte Männer, dachte ich mir, Morais und die Fieldings. Drei alte Gehirne, deren Erinnerungen wie abgenutzte Zahnräder nicht mehr richtig ineinandergriffen. Wem sollte ich Glauben schenken, wie vorsätzliche Lüge und bloße Verwirrtheit voneinander trennen? Ich neigte zu der Annahme, dass Amadeo Rahim tatsächlich hier bei Eduardo gesehen hatte. Doch warum sollte Morais in dieser Sache lügen, während er mir so bereitwillig von der Werkstatt erzählt hatte?
Ich trank einen Schluck Tee. Dann fiel mir Graças Gesichtsausdruck ein, als Morais Rahim erwähnt hatte. Es war eher Angst als Panik gewesen. Überhaupt ein seltsamer Wortwechsel, denn obgleich Morais mit dem Mädchen portugiesisch gesprochen hatte, kam es mir vor, als hätten seine Worte eigentlich mir gegolten.
Neun
An die ersten Jahre, die ich mit meiner Mutter in Paris verbrachte, kann ich mich kaum noch erinnern. Es gibt nur einige verschwommene Szenen, die ich aus der dämmrigen Gruft meiner Kindheit heraufbeschwören kann: ein ganz bestimmtes Paar brauner Lederschuhe; den angeschlagenen Rand unserer alten Emaillebadewanne; wie es klang, wenn die Schüler meiner Mutter in unserem Wohnzimmer die Kreutzer-Etüden spielten oder dieselbe Tonleiter endlos wiederholten und immer wieder den gleichen Fehler machten.
Von meiner Tante Emilie erfuhr ich Einzelheiten aus jener Zeit. Von ihr weiß ich, weshalb meine Mutter Beirut verlassen hatte und wieder dorthin zurückgekehrt war. Als wir wieder nach Beirut zogen, lebte meine Tante schon mit ihrem Mann in Bordeaux, doch die Schwestern hatten einander regelmäßig geschrieben. Von meiner Tante erfuhr ich auch von dem Kloster in der Dordogne und dass meine Mutter, statt den wohlanständigen Weg zu wählen und mich wegzugeben, eine andere Lösung gefunden hatte. Wie sie in Paris mühsam unseren Lebensunterhalt verdient, zuerst auf dem Boden im Atelier eines Freundes nahe der Sorbonne geschlafen hatte und später in eine zugige Wohnung am Montmartre gezogen war.
Wenige Monate bevor Emilie starb, überreichte sie mir alle Briefe meiner Mutter, verstaut in einem alten Schuhkarton von Dior, der mit gelbem Papier ausgelegt war. Eine Geste der Versöhnung, das weiß ich heute, doch ich konnte mich nie überwinden, die Briefe zu lesen.
Wir tragen die Toten in uns, weil wir es so haben wollen. Für meine Tante war meine Mutter immer diejenige geblieben, die sich ihrem Vater widersetzt und gewonnen hatte. Für ihren Vater blieb meine Mutter das ernste Mädchen auf der Bühne der American University, das Haar zu einem festen Knoten hochgesteckt, Kinn und Schulter um die Violine gekrümmt, während ihr ganzer Körper unter den Mühen eines Dvořák-Konzertes bebte.
Und wer ist sie für mich? Wieder eine ganz andere Inkarnation der Frau, die wir alle kannten und die ich so viele Jahre in mir getragen habe. Meine Mutter war eine atemberaubende Skiläuferin, furchtlos wie ihre Landsleute, aber mit einer gewissen Anmut, die über die charakteristische libanesische Verwegenheit hinausging. Ich versuche, an diesem Bild von ihr festzuhalten: Das schwarze Haar flattert im Wind, ihre Skier durchschneiden mühelos den Schnee in Faraya-Mzaar, ihr Körper ist nicht zerfetzt, sondern schießt gesund und voller Energie den Berg hinunter. Mehr Versöhnung brauche ich nicht.
»Ein Milchmädchen«, sagte der alte Mann bedächtig, wobei seine falschen Zähne im Mund wackelten. Dann legte er einen Finger an die Schläfe. »Ja! Ja! Die alte Molkerei.« Er lächelte und deutete durch das Fenster des Cafés zur Bushaltestelle gegenüber, neben der eine schmale Gasse abzweigte. »Da entlang und die erste rechts.«
»Vielen Dank.« Ich bestellte dem Rentner noch einen medronho, zahlte
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