Portugiesische Eröffnung
dunkelbraun, aber kürzer als früher, es fiel nicht mehr bis auf die kräftigen Schultern. Ihr Gesicht war etwas schmaler, vielleicht lag es am Alter, oder das Gedächtnis spielte ihm einen Streich. Ihre dunklen Augen lagen tiefer als früher. Und ihre Haltung hatte sich grundlegend verändert.
Was das Gefängnis einem Menschen so antut, hörte er seinen Bruder sagen. Sechs Jahre im Maison des Baumettes. Sechs Jahre, die sie härter gemacht hatten, und das wollte etwas heißen. Sie war immer hart wie Stahl gewesen, wachsam und unabhängig wie eine streunende Katze, sogar im Bett. Bei jeder anderen Frau hätte ihn diese Distanz, diese ewige Zurückhaltung gekränkt. Doch in Nicoles Verhalten lag eine Tiefe, die sie nur noch begehrenswerter machte.
Sie hatte sich immer auf ihr Handwerk verstanden, und Rahim war überrascht gewesen, als er von dem Durcheinander in Marseille erfuhr. Dass Nicole sich überhaupt wieder mit Ed Blake eingelassen hatte, der selbst unter professionellen Lügnern einen schlechten Ruf genoss. Er hätte seine eigene Mutter verkauft. Oder, wie in diesem Fall, seine Tochter.
Einzelheiten wusste Rahim nicht, er kannte nur die Gerüchte. Irgendein Betrug mit Autos, Mietwagen wurden mit gefälschten Papieren verkauft. Eine typische Idee von Ed, grob und altmodisch. Irgendwie hatte er Nicole dazu überredet, den ganzen Papierkram zu übernehmen, die cartes grises, die Kreditkarten und Führerscheine, mit denen sie die Wagen geleast hatten.
Ed hatte sich bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten abgesetzt und Nicole im Stich gelassen. Als die französische Polizei, alarmiert durch die gefälschten Kreditkarten, ihn endlich in Val d’Isère stellte, hatte er ihnen Nicole auf einem Silbertablett präsentiert und für sich selbst eine lächerliche Strafe von sechs Monaten herausgeschlagen.
Nicole hatte ihre Zeit abgesessen, jeden einzelnen Tag. Etwas anderes hatte Rahim auch nicht erwartet. Sie war kein Mensch, der andere verkaufte, um seinen eigenen Kopf zu retten. Wie er gehört hatte, arbeitete sie jetzt für eine Firma, die etwas mit Dokumentensicherheit zu tun hatte. Sie war ausgestiegen, und wer wollte ihr das verdenken?
Sie war ausgestiegen und dennoch nach all den Jahren zurückgekommen. Und erkundigte sich nach ihm. Rahim hätte gerne gewusst, was dahintersteckte.
Zuerst ist es nur ein Gefühl, sonst nichts, das untrügliche Wissen, dass sich etwas verändert hat. Zwei Wochen später weiß ich es genau. Rahim ist weggegangen, und ich stehe barfuß auf den kalten Badezimmerfliesen. Aus dem silbrigen Spiegel über dem Waschbecken blickt mir mein eigenes Gesicht entgegen. Auf dem weißen Oval des Waschbeckenrandes balanciert ein Plastikstäbchen.
Draußen in der Rua da Moeda kämpft sich die Bica stöhnend den Hügel hinauf. Neunundneunzig, achtundneunzig … ich zahle langsam von hundert rückwärts und horche, wie das Geräusch der Bahn in der Ferne verklingt, als knirschten Zähne auf den abgenutzten Schienen.
Achtzehn, zähle ich, siebzehn … In dem winzigen Fenster des Plastikstäbchens ist eine dünne blaue Linie erschienen. Keine Frage, kein Zweifel, es gibt nur die Entscheidung, die jetzt auf mich wartet.
Die Wohnungstür geht auf, viel früher als erwartet, und ich höre zwei Stimmen im Wohnzimmer, den kehligen Widerhall des Arabischen. Rahim und einer seiner marokkanischen Freunde. Ich hole tief Luft und reiße mich zusammen, drücke die Handflächen gegen das kühle Porzellan. Im Wohnzimmer schaltet jemand das Radio ein, Europe 1 aus Frankreich. Ich muss es ihm sagen. Vermutlich ahnt er es ohnehin.
Ich stecke das Plastikstäbchen in die Tasche und trete in den Flur. Rahim kocht in der Küche Tee. Er nickt mir schweigend zu und löffelt getrocknete Minze in die verzierte Kanne, die Driss ihm aus Marokko mitgebracht hat. Rahims Freund Mustapha ruft etwas aus dem Wohnzimmer, und er antwortet mit zorniger Stimme.
Das ist ihr abendliches Ritual geworden. Pfefferminztee und Nachrichten, später eine billige Flasche Portwein. Der langsame Countdown bis zum 15. Januar, dem Ultimatum, das die Amerikaner den Irakern für den Rückzug aus Kuwait gestellt haben. Der letzte lange Atemzug vor dem Krieg. Wir wissen alle, dass Saddam Hussein niemals nachgeben wird.
Mustapha zündet sich eine Zigarette an, eine unordentliche Selbstgedrehte, und der Tabakrauch würgt mich im Hals.
Ja, denke ich, ich muss es ihm sagen, aber nicht jetzt. Nicht so.
»Je sors«, sage ich. Ich gehe
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