Portugiesische Eröffnung
aus.
Selbst rückblickend lässt sich kaum sagen, wann genau der libanesische Bürgerkrieg begann. Die Nachbeben des arabisch-israelischen Krieges von 1967, die zu einem massiven Strom palästinensischer Flüchtlinge führten, hatten das empfindliche politische Gleichgewicht im Libanon tief erschüttert. In den folgenden Machtkämpfen kam es immer häufiger zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die libanesische Armee und die christlichen Phalangisten, angeführt von der Familie Gemayel, stellten sich gegen die Palästinenser und die Milizen von Kamal Dschumblats linksgerichteter Libanesischer Nationaler Bewegung.
Die Feindseligkeiten steigerten sich bis zum Frühjahr 1975, als man drei Leibwächter von Pierre Gemayel in Ain al-Rummaneh erschoss und die phalangistische Miliz aus Rache einen palästinensischen Bus überfiel. Der Zwischenfall löste weitere Rachemorde und Anarchie aus, und binnen eines Monats war der Libanon in einem blutigen Krieg versunken, der fast zwanzig Jahre andauern sollte.
Zwei Jahrzehnte, eine ganze Generation voller Gewalt, und doch gab es auch ruhige Zeiten, ein Innehalten, das an die verzögerten Schläge eines kranken Herzens erinnerte. Zeiten, in denen die Menschen beinahe glaubten, das Schlimmste sei vorüber. Manchmal Tage oder sogar Monate, dann wieder reichte es nur für eine ungestörte Mahlzeit. Allein einhundertfünfzig kurzfristige Waffenstillstände in den ersten acht Kriegsjahren.
Im Sommer 1977, einer der ersten und längsten dieser trügerischen Ruheperioden, nahm meine Mutter eine Stelle als Geigenlehrerin an der American University in Beirut an, und wir zogen wieder ins Haus meiner Großeltern in Achrafiye. Meine Mutter hatte genug vom Krieg gehört und entschieden, es sei besser, sich der Realität zu stellen, als sich aus der Ferne das Schlimmste auszumalen. Die Syrer waren ins Land gekommen, und nach dem Grauen der beiden vergangenen Jahre glaubten viele, dass der Friede diesmal von Dauer sei. Im August hielt der Jachtclub St. Georges internationale Meisterschaften im Wasserski und Wasserpolo ab. Sogar Julio Iglesias unternahm auf seiner Welttournee einen Abstecher nach Beirut.
Ich war sieben, als wir in den Libanon zurückkehrten, zu jung, um zu verstehen, was der Krieg oder die Entscheidung meiner Mutter bedeuteten und wie schwer es ihr gefallen sein musste, aus der Ferne mit anzusehen, wie die Stadt, die sie so liebte, zerstört wurde. Doch ich weiß noch genau, wie ich vom Deck des Frachters, auf dem mein Großvater uns eine Überfahrt verschafft hatte, zum ersten Mal Beirut sah. Und an die kurze Fahrt vom Hafen, vorbei an den Häusern in der Rue Georges Haddad, deren Fassaden weggesprengt waren, sodass man hineinsehen konnte wie in ein Puppenhaus.
Als wir schließlich vor dem Haus meiner Großeltern hielten, stieg meine Mutter aus und ging auf ihren Vater zu. »Niemand kann ewig wütend sein«, sagte sie.
Sie war eine Frau, die in vielen Dingen recht hatte. Das verstand ich schon als Kind. Doch als ich vor der Wohnung in Achrafiye stand, die Zerstörungen des Krieges noch frisch im Gedächtnis, fragte ich mich, ob sie sich diesmal vielleicht geirrt hatte.
Zwölf
In jener Nacht weckte mich ein verzweifeltes Geheul aus dem Schlaf. Der Wecker neben dem Bett stand auf zwei Uhr neun. Unten im Luftschacht paarten sich zwei Katzen, deren Schreie wie die eines verlassenen Kindes klangen. Ich wälzte mich aus dem Bett, tappte durchs dunkle Zimmer, zog die Vorhänge zurück und öffnete das Fenster. Im Stockwerk unter mir erklang eine Schimpfkanonade in einer mir unbekannten Sprache, vielleicht Schwedisch. Dann wurde ein drittes Fenster geöffnet, und eine Stimme brüllte auf Portugiesisch los. Ein dumpfer Aufprall, als jemand etwas aus dem Fenster warf. Die Katzen heulten ein letztes Mal auf und stoben gemeinsam durchs Unkraut davon.
Ich schloss das Fenster, legte mich wieder ins Bett und machte die Augen zu. Dabei stellte ich mir den wachsenden Haufen von Wurfgeschossen vor, der sich am Boden des Luftschachts auftürmte. Einzelne Sandalen und halbleere Zigarettenpäckchen, Kleiderbügel und Aschenbecher. Was einem in den frühen Morgenstunden gerade in die Hand fiel.
Draußen im Flur bewegte sich jemand. Ein später Heimkehrer, dessen Schritte genau vor meinem Zimmer verstummten. Vermutlich die Frau von gegenüber, eine blasse Engländerin in mittleren Jahren, die mit einem eselsohrigen Lonely Planet- Ratgeber unterwegs war; ich war ihr bei meiner Ankunft
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