Poseidon - Der Tod ist Cool
zu bewegte. Je näher er Reiter kam, desto mehr verdichtete er sich.
Bis er vor ihm stand.
Ein Engel. Azrael.
Reiter lächelte.
Gerettet. Nach all den furchtbaren Stunden.
Er entspannte sich.
Auch das
Bangen und Hoffen der vergangenen Jahre hat nun endlich ein Ende.
Reiter sah, wie der Himmelsbote seinen rechten Arm hob. Er strich mehrmals mit der Hand über seine Brust. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihm aus. Er roch den Duft von Weihrauch. Er beobachtete, wie der Diener Gottes sich umdrehte, ein paar Schritte ging und ein goldenes Gewand von einem der Tische nahm. Er schwebte damit auf ihn zu, faltete es auseinander, legte es ihm um die Schultern. Reiter spürte, wie es sich sanft um seinen Leib schmiegte, ihm das Gefühl von Geborgenheit gab. Dann wurde es dunkel.
Poseidon stand vor seinem Kunstwerk. Er betrachtete es lange und ausgiebig. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck wandte er sich von Reiter ab. Bevor er den Keller verließ, löschte er das Licht.
36. Kapitel
Schwarze Straßen.
Himmel.
Schwarzer Regen.
Schwärze überall. Sie ergoss sich in Frenzels Inneres. Ertrank alte, warme Gefühle. Spie Kälte aus.
Er saß in seinem Wagen und fuhr ziellos in der Stadt umher. Immer wieder erblickte er im Geiste die einsame Person an Nowotnys Grab, die dort auf einen Stock gestützt ausharrte. Die ihr gebeugtes Haupt erhob. Ihm direkt in die Augen sah.
Voller Trauer.
Er konnte durch diese Augen hinab in ein gebrochenes Herz sehen.
Mutter.
Der Gedanke an sie berührte ihn nicht mehr. Die Welt lag in Scherben vor ihm. Frenzel nahm die Auffahrt zur Autobahn. Er wechselte auf den Beschleunigungsstreifen, drückte das Gaspedal bis zum Anschlag. Die Scheibenwischer liefen auf Hochtouren. Ein sinnloses Unterfangen – die Sicht blieb gleich null.
Er war mein Bruder!
Der BMW schoss durch Wände aus Wasser. Frenzels Hände umklammerten das Lenkrad. Schweiß rann von seiner Stirn. Sein Rücken schmerzte vor Anspannung. Die Narben auf seinem Körper juckten.
Verdammt Michael, ich vermisse dich!
Frenzel erinnerte sich an ihre letzte gemeinsame Autofahrt. An ihren Streit. An seinen Geburtstag - den Todestag seines Bruders.
Und ich habe dir das Rauchen im Auto verboten. Aus lauter Egoismus. Was gäbe ich dafür, dich jetzt rauchend neben mir sitzen zu sehen.
Jeder Gedanke an Nowotny legte sich als Panzer um sein Herz.
Wenn ich dich doch nur noch einmal umarmen könnte. Dich spüren. Hören.
Frenzel blickte starr gerade aus. Seine Ohren waren vom Lärm der aufschlagenden Regentropfen längst taub geworden. Sein Auge von Tränen geschwächt.
Ich brauche dich.
Aquaplaning.
Das Fahrzeug schleuderte.
Was zum Teufel...
Es knallte gegen die Leitplanke. Das Heck brach aus. Die Fahrerseite schmetterte erneut gegen die Fahrbahnbegrenzung. Metall schlug auf Metall. Es pfiff und knarzte. Funken stoben zischend durch die Luft. Der Wagen hob ab, überschlug sich, flog über die Straße. Er blieb in einem angrenzenden Maisfeld auf dem Dach liegen. Frenzel hing kopfüber im Sicherheitsgurt.
Bewusstlos.
Blut lief aus einer Kopfwunde. Es sammelte sich an seiner Schädelbasis. Von dort floss es in einem Rinnsaal auf den Himmel des Autodaches.
Bildete einen See.
Je größer dieser See anwuchs, desto kleiner wurde die Flamme, die in Frenzels Körper brannte.
Kleiner.
Immer kleiner...
37. Kapitel
Nein, das darf nicht sein!
Er raste auf die Standspur und trat voll in die Bremsen. Der Wagen drohte auszubrechen. Nur mühsam hielt er ihn unter Kontrolle. Panisch blickte er um sich, doch Frenzels Fahrzeug war von der Straße aus nicht zu sehen.
Ich muss ihn finden. Schnell.
Er sprang aus dem Auto. Seine Schritte flogen im Stakkato des Regens über den Asphalt.
Da!
Frenzels BMW hatte einen Krater in das Maisfeld geschlagen. Ein Seitenspiegel war aus seiner Halterung gerissen, der andere schwang im Wind an den Kabeln der elektrischen Steuerung hin und her. Der harte Aufprall an der Leitplanke hatte die Motorhaube vollständig nach außen gedrückt. Der Kofferraumdeckel hing an einem Fetzen Blech. Das Dach machte noch den besten Eindruck, obwohl der Wagen darauf liegen geblieben war. Sämtliche Glasscheiben waren vom Druck des Aufschlags zerplatzt, das Chassis komplett demoliert.
Die Szenerie schien durchtränkt vom Hauch des Todes.
Verdammt. Ich komme zu spät!
Er kämpfte sich durch den Ackerboden. Immer wieder versanken seine Schuhe in dem aufgeweichten Untergrund.
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