Poseidons Gold
Im Atrium standen die Büsten der beiden Claudier-Kaiser, deren klar geschnittene, jungenhafte Züge so kraß von dem groben, kantigen Bauerngesicht unseres jetzigen Herrschers Vespasian abstechen. Auf die erste veritable Sammlung stießen wir im begrünten Peristyl gleich hinter dem Atrium. Jetzt im März war von der Gartenbaukunst hier draußen noch nicht viel zu sehen. Um so nachdrücklicher kamen die Skulpturen zur Geltung. Ich zählte etliche imposante Hermen, umgeben von eher niedlichen Figürchen: Hunde und Hündinnen, geflügelte Cupidos, Delphine, ein flötenspielender Pan und so weiter und so fort. Natürlich fehlte auch der obligate Priapus nicht (im Gegensatz zu dem seiner Manneszier so wüst Beraubten in Vaters Lagerhaus war diese hier prachtvoll bestückt), und in seinem Schatten hatte sich ein feister Silenus ausgestreckt, aus dessen Weinschlauch ein zaghaftes Rinnsal plätscherte. Alles in allem also ein ziemlich gewöhnlicher Skulpturengarten. Mich als Pflanzenliebhaber interessierten die Krokusse und Hyazinthen aus dem Orient, die dem Garten erste Farbtupfer verliehen, weit mehr.
Mein Vater, der nicht zum ersten Mal hier war, dirigierte mich zielstrebig weiter, in die Kunstgalerie. Erst als wir hier eintraten, pieksten mich die ersten Neidgefühle.
Wir hatten etliche ruhige, sauber gefegte Gemächer in unaufdringlich gedeckten Farben durchquert, die sparsam, aber aufs erlesenste möbliert waren und in denen hie und da auf einer Plinthe eine kleine, aber exquisite Bronzeskulptur stand. Den Eingang zur Galerie bewachte kein einzelnes Meeresungeheuer, sondern gleich ein riesenhaftes Paar davon. Und auf ihren peitschenden Schwanzflossen, die die Gischt hoch aufspritzen ließen, saßen allerliebste Nereiden.
Wir schlichen an den Nymphen vorbei durch das majestätische Portal. Der alabasterne Türrahmen war mindestens so hoch wie bei mir daheim die Zimmerdecke, und die mächtigen Flügeltüren aus einem fremden, exotischen Holz waren mit Bronzebeschlägen verziert. Vermutlich standen sie die meiste Zeit offen wie jetzt, denn um sie zu schließen, hätte man mindestens zehn Sklaven gebraucht.
Drinnen verharrten wir andächtig vor einem überlebensgroßen Sterbenden Gallier aus wunderschön geädertem rotem Porphyr. Jeder Haushalt müßte von Rechts wegen ein solches Kunstwerk besitzen – nebst der Trittleiter zum Abstauben.
Nun folgte die Sammlung berühmter Griechen, eine recht konventionelle Serie, aber Leute wie unsere Gastgeber haben nun mal strikte Prioritäten bei der Zusammenstellung erlesener Büsten: Homer, Euripides, Sophokles, Demosthenes, ein schmucker Perikles mit Bart und endlich der Gesetzgeber Solon. Hinter dieser illustren Parade drängten sich ein paar anonyme Tänzerinnen, überragt von einer wuchtigen Statue des Alexander, der vornehm und unendlich melancholisch dreinblickte, obwohl das wallende Haupthaar, das der Bildhauer ihm verliehen hatte, ihn eigentlich hätte aufheitern müssen. Die beiden kenntnisreichen Sammler hatten offenkundig eine Vorliebe für Marmor, gönnten aber auch der einen oder anderen hervorragenden Bronzestatue ihren Platz: einigen Speerwerfern und Lanzenträgern etwa sowie Athleten, Ringern und Wagenlenkern. Doch bald darauf begrüßte uns wieder der klassische parische Stein, diesmal in Gestalt eines geflügelten Eros, der vermutlich nur deshalb so finster dreinblickte, weil eine junge Schöne ihm die Stirn geboten hatte. Eros gegenüber war ein noch entrückterer, bleicher Dionysos in stille Betrachtung der ewigen Traube versunken. Er war jung und schön, dieser Gott des Weins, aber seiner Miene nach zu urteilen, hatte er bereits begriffen, daß er seine Leber, wenn er so weitermachte, bald würde abschreiben können.
Es folgte eine hinreißende kunterbunte Mischung. Flora und Fortuna, Sieg und Tugend. Ein Minotaurus auf einem Piedestal, eine Vitrine mit lauter Miniaturen. Ich sah graziöse Grazien und musische Musen; eine kolossale Mänadengruppe amüsierte sich köstlich mit Seiner Majestät, König Pentheus, und daß die Kopie der Charis vom Erechtheion in Athen den Vergleich mit dem Original nicht zu scheuen brauchte, erkannte sogar ich. Wenn genug Platz gewesen wäre, dann hätte der Hausherr vermutlich gleich den ganzen Parthenon importiert.
Die olympischen Götter schwangen, wie es ihrem Rang geziemte, das Szepter in einer eigenen Halle. Hier thronten Jupiter, Juno und Minerva, das gute alte römische Dreigestirn, nebst einer ehrfurchtgebietenden
Weitere Kostenlose Bücher