Poseidons Gold
bedurfte, von denen er mir aber nur zwei genannt hatte. Kurz gesagt, er war ein Mann, der sein Hypothenusenquadrat niemals mit den Kathetenquadraten auf die Reihe bringen würde.
»Was für eine erfreuliche Überraschung!« krächzte ich scheinheilig, als hätte ich ihn seit fünf Jahren nicht jedesmal, wenn ich ins Flora kam, wie Luft behandelt.
»Eher wohl ein Schock«, brummte er, auf meinen Ton eingehend, und löffelte die von mir spendierte Suppe.
Da Epimandos außer uns niemanden zu bedienen hatte, setzte er sich neben die Katze und hörte zu.
»Was ist denn aus der Schule geworden, Apollonius?«
Er seufzte. Mir wurde ganz mulmig vor lauter wehmütigen Kindheitserinnerungen, denn genauso hatte er geklungen, wenn er damals die Unwissenheit eines faulen Schülers beklagte. »Die instabile politische Lage zwang mich, sie aufzugeben.«
»Sie meinen wohl die vielen unbezahlten Schulgebühren?«
»Unter einem Bürgerkrieg leidet die heranwachsende Jugend immer am meisten.«
»Die Jugend leidet unter allem«, versetzte ich düster.
Diese Begegnung war mir entsetzlich peinlich. Ich war ein knallharter Bursche, der einem gemeinen Geschäft nachging; das letzte, was ich brauchen konnte, war ein Zusammentreffen mit einem Schulmeister, der mich als sommersprossigen Gernegroß gekannt hatte. Die Leute hier in der Gegend hielten mich für einen klugen Kopf mit eiserner Faust. Nicht auszudenken, wenn sie sähen, wie ich dieser dürren Heuschrecke mit dem schütteren Haar und den zitternden, altersfleckigen Händen eine Suppe spendierte, während er meine vergessene Kindheit heraufbeschwor.
»Wie geht’s deiner kleinen Schwester?« fragte Apollonius nach einer Weile.
»Maia? Die ist nicht mehr so klein. Erst hat sie für einen Schneider gearbeitet, dann einen verlotterten Pferdedoktor ohne Urteilsvermögen geheiratet. Er arbeitet für die Grünen und versucht, deren klapprige Gäule davor zu bewahren, auf der Rennbahn tot umzufallen. Hat auch selbst einen scheußlichen Husten – wahrscheinlich klaut er den Pferden das Einreibemittel.« Apollonius machte ein verdutztes Gesicht. Er lebte nicht in meiner Welt. »Maias Mann ist ein Säufer.«
»Oh.« Jetzt wirkte der Ärmste ganz betreten. »Sehr intelligentes Mädchen, die Maia.«
»Ganz bestimmt.« Nur leider nicht in der Wahl ihres Ehemanns.
»Laß dich von mir nicht aufhalten, mein Junge«, sagte der Schulmeister so höflich, daß ich ihn insgeheim verfluchte, weil ich mich nun erst recht gezwungen sah, unsere Unterhaltung fortzusetzen.
»Ich werde Maia erzählen, daß ich Sie getroffen habe. Sie hat jetzt vier eigene Kinder – nette kleine Rangen, und Maia erzieht sie auch anständig.«
»Das hätte ich nicht anders erwartet; war eine gute Schülerin, die Maia; immer brav und fleißig; und nun also auch eine gute Mutter.«
Ich gab mir einen Ruck und sagte: »Sie hatte ja auch einen guten Lehrer.« Apollonius lächelte, als dächte er bei sich: »Immer noch die gleichen liebenswürdigen Phrasen.« Und ich setzte spontan hinzu: »Haben Sie eigentlich auch meinen Bruder und die anderen Schwestern unterrichtet? Ach, Victorina, meine älteste Schwester, ist kürzlich gestorben.«
Apollonius wußte natürlich, daß er mir jetzt hätte sein Beileid aussprechen sollen, doch über der Beantwortung der Anfangsfrage verlor er den Faden. »Ein paar von deinen Geschwistern hatte ich vielleicht in der Schule, zumindest hin und wieder …«
Ich half ihm aus der Verlegenheit. »Für die älteren konnte die Familie kaum das Schulgeld aufbringen. Es waren schlechte Zeiten, damals.«
»Aber du und Maia, ihr wurdet jedes Trimester eingeschrieben«, rief er fast vorwurfsvoll. Kein Wunder, daß er sich daran erinnerte; wir waren vermutlich die einzigen Kinder auf dem ganzen Aventin, die regelmäßig an seinem Unterricht teilnahmen.
»Wir bekamen das Schulgeld bezahlt«, erklärte ich.
Apollonius nickte heftig. »Von dem alten Herrn aus Malta«, erinnerte er mich unnötigerweise.
»Ja, ganz recht. Er wollte uns gern adoptieren, also hat er brav Quartal für Quartal bezahlt, in der Hoffnung, zwei künftige Erben heranzubilden.«
»Und hat er euch adoptiert?«
»Nein. Mein Vater wollte nichts davon wissen.«
Nachdenklich lauschte ich meinen eigenen Worten nach. Für jemanden, der sich nach der Zeugung herzlich wenig um seine Kinder kümmerte, war mein Vater mitunter rasend eifersüchtig. Wenn wir einmal unartig waren, drohte er unbekümmert damit, uns an die Gladiatoren
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