Post Mortem
hattest ja so was vermutet.«
»Es wäre schön gewesen, unrecht zu haben«, erwiderte ich.
»Ich kann mir nicht mal vorstellen, in dem Alter alles allein bewältigen zu müssen.«
Nach dem bisschen, was er mir von seiner Kindheit erzählt hatte, hatte er sich im Alter von sechs Jahren bereits fremd in seiner Familie gefühlt, ein großes, dickes irisches Kind, das so aussah und sich so benahm wie seine Brüder, aber wusste, dass es anders war. Die paar Male, die er über seine Familie geredet hatte, hätte er ein Anthropologe sein können, der einen exotischen Stamm beschrieb.
»Ja, es ist hart«, sagte ich.
»Aber du glaubst, sie schafft es?«
»So gut, wie man erwarten kann.«
Er lachte. »Wie taktvoll. Es wäre jedenfalls schön, wenn wir das hier alles aufklären und zusehen könnten, wie die beiden in den Sonnenuntergang walzen… als ob Kids heutzutage noch Walzer tanzen würden.« Er ließ seine Zähne aufblitzen. »Als ob ich das jemals getan hätte… Wie weit sind wir also bei Cousin Petey?«
»Kyles Diagnose scheint den Nagel auf den Kopf zu treffen.«
»Sein Würstchen in Eingeweide von Tieren zu stecken geht über einfaches psychopathisches Verhalten hinaus, Alex.«
»Psychopathisch hoch drei«, sagte ich. »Er hat frühzeitig ernsthafte Gefahrensignale von sich gegeben, und niemand hat sich drum gekümmert.«
»Sich Mommys Fotos zu grapschen.«
»Seine gesamte Kindheit war erotisiert. Sex und Gewalt konnten miteinander vermischt werden. Das bringt mich auf die Idee, ob Pattys schreckliche Sache‹ mit einem Triebverbrechen zusammenhängt. Wenn sie nun wirklich jemanden umgebracht hat - einen Sittlichkeitsverbrecher, den sie als Bedrohung für Tanya ansah?«
»Einen Schmuddelkumpel von Pete?« Ich nickte.
»Ein unheimlicher Pädophiler läuft Tanya über den Weg, und schon benutzt Mommy ihre kleine Zweiundzwanziger«, sagte Milo. »Warum sollte sie Tanya jetzt davon erzählen?«
»Vielleicht packte sie die Angst, weil sie den Job nicht zu Ende gebracht hatte.«
»Indem sie De Paine verschonte«, sagte er. »Jahre später begegnet er ihr zufällig in der Notaufnahme und macht eine drohende Bemerkung. Aber falls er zusammen mit einem anderen Dreckskerl irgendetwas Unvorstellbares angestellt hat, warum sollte Patty dann seinen Kumpel umlegen und ihn davonkommen lassen?«
»Weil er jung war«, erwiderte ich. »Er war achtzehn, als Patty und Tanya an der Fourth wohnten.
Außerdem war er der Sohn des Mannes, um den sie sich kümmerte. Und der ihr möglicherweise nicht gleichgültig war.«
»Alle anderen verachten Jordan, aber sie hat eine Schwäche für ihn?«
»Sie hat so auf ihn aufgepasst, als wäre das der Fall. Möglicherweise ist sie auch dadurch traumatisiert worden, dass sie einmal jemanden getötet hat, und brachte es nicht über sich, es noch mal zu tun. Bei guten Menschen kann es so sein.«
Die Brise nahm an Stärke zu.
»Okay«, sagte er, »egal aus welchem Grund sie den kleinen Petey nicht erschossen hat. Warum sollte sie ihn nicht den Cops melden?«
»Weil sie seinen Komplizen eliminiert hatte und nichts mit den Cops zu tun haben wollte.«
»Den theoretischen Komplizen«, sagte er. »Deiner Logik zufolge jemand, der älter war. Jetzt müssen wir nur noch dieses Phantom aus dem Nichts heraufbeschwören. Und irgendein abscheuliches Sexualverbrechen ausgraben, von dem niemand was gehört hat. Hinzu kommt die Frage, warum Patty Tanya nicht ausdrücklich gewarnt hat, wenn sie sich solche Sorgen machte, dass De Paine ihr etwas antun könnte?«
»Ich weiß nicht. Es ist möglich, dass die Krankheit tatsächlich ihr Gehirn in Mitleidenschaft gezogen hat. Oder sie wollte Tanya keinen Schrecken einjagen - oder ausschließen, dass Tanya sich dem Problem alleine stellt. Indem sie die Sache in der Schwebe hielt und ihre Tochter in meine Richtung lenkte, hoffte sie, dass Tanya von uns beiden geholfen würde.«
»Kann sein.«
»Es hat funktioniert, oder?«
Er legte die Hände hinter den Kopf. »Einfallsreich, das muss ich dir lassen.«
»Als Tanya mir erzählte, sie hätte den Eindruck, dass Patty sie zu beschützen versuchte, hielt ich das für eine Romantisierung ihrer Mutter. Aber vielleicht hatte sie recht.«
Er schloss die Augen. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte 1:46 an.
»Es passt auch zu dem Mord an Lester Jordan, Milo. Wenn Jordan nun wusste, dass Patty seinen Sohn verschont hatte? Wir kommen vorbei und erkundigen uns nach ihr, woraufhin er nervös wird und sich fragt, ob
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