Post Mortem
sagte sie, »ich kenne das Mädchen noch gar nicht, und schon mische ich mich ein.« Die reflexhafte Antwort schaffte es nicht über meine Lippen: mütterlicher Instinkt.
Robin und ich hatten früher mal darüber geredet, wie es wäre, Kinder zu haben. Vor Jahren, nach unserer ersten Trennung, wurde sie von einem Mann schwanger, den sie kaum mochte, und nahm in der sechsten Woche eine Abtreibung vor. Seitdem war das Thema nicht mehr zur Sprache gekommen. Während dieser Zeit hatte ich hunderte von Kindern anderer Leute geheilt und die Möglichkeit erwogen, dass ich vielleicht nie Vater werden würde. Manchmal war ich in der Lage, die Ironie zu würdigen. Wenn das nicht klappte, beschäftigte ich mich mit der Pathologie von Fremden. Blanche hechelte nach noch mehr Reis, und Robin tat ihr den Gefallen. Als auf den nächsten Bissen Betteln folgte, erklärte sie: »Wir wollen dein Bäuchlein nicht belasten, du Süße«, und begann die Teller abzuräumen. Als sie am Spülbecken stand, sagte sie: »Dass sie bei ihm wohnt, ist wahrscheinlich die beste Lösung. Wir hätten uns bemüht, coole Gastgeber zu sein, aber unter unserem Dach zu sein, wäre bedrückend für sie gewesen.«
Ich stand auf und legte ihr meine Hände auf die Schultern.
»Fahren wir ein bisschen rum«, sagte sie.
Wenn wir kein festes Ziel haben, landen wir normalerweise irgendwo auf dem Pacific Coast Highway. Diesmal fragte Robin: »Wie wär's mit hellen Lichtern und einer großen Quasistadt?«
Ich fuhr auf dem Sunset nach Osten, durch Hollywood und den Los-Feliz-Distrikt nach Silver Lake, wo es ein neues Jazzlokal gab, von dem sie gehört hatte.
The Gas Station war, wie sich herausstellte, früher tatsächlich eine Union-76-Tankstelle gewesen, war immer noch blau angestrichen und roch immer noch nach Motor-Öl. Drinnen standen alte Zapfsäulen, nicht zueinander passende Plastikstühle und -tische, und an den Wänden hingen vergrößerte Fotos musikalischer Genies.
Fünf andere Gäste in einem Raum, in dem vierzig Platz gefunden hätten. Wir ließen uns in der Nähe der Bühne unter den bohrenden Blicken von Miles Davis nieder.
Ein Quartett von über Sechzigjährigen spielte leichtgewichtigen Bebop. Robin hatte an der Gibson Archtop des Gitarristen gearbeitet, und er nahm ihre Anwesenheit mit einem Lächeln und einem temperamentvollen Solo in Monks »Well,You Needn't« zur Kenntnis. Als das Stück vorüber war, setzten er und der Schlagzeuger sich zu uns und machten nichtssagende, vom Alkohol geprägte Konversation. Irgendwann flocht Robin das Thema Blaise De Paine ins Gespräch. Keiner der beiden Musiker hatte von ihm gehört. Als Robin ihnen von seinen Mixes erzählte, fluchten sie wütend, entschuldigten sich und gingen frische Luft schnappen.
Wir blieben noch bis zum Ende des nächsten Sets, waren um Viertel vor zwölf wieder zu Hause, zogen Schlafanzüge an und schliefen Händchen haltend ein.
Kurz nach drei Uhr früh saß ich senkrecht im Bett, durch ein klopfendes Herz und pochende Schläfen aus dem Schlaf gerissen. Ein nagender Schmerz unter meinem Brustkorb fühlte sich an, als ob Mäuse an meinem Zwerchfell kratzten. Mit Tiefenatmung bekam ich einiges davon unter Kontrolle.
Dann begann die Endlosschleife.
War Tanya bei Kyle wirklich sicher?
Er hatte sie über Facebook gefunden. Was hinderte De Paine daran, das Gleiche zu tun? Jede Menge Schusswaffen in Kyles Haus, aber er hatte keine Ahnung, wie man sie benutzte. Trotz seiner Heldenphantasien konnte er nicht überall sein.
Tanya war ein eigensinniges Mädchen.
Ich stellte mir vor, wie sie spät am Abend die Bibliothek allein verließ.
Eine kleine junge Frau, ein riesiges Unigelände. So leicht, sie zu - Hör auf.
Würde Tanya bei Kyle wirklich sicher sein - STOPP!
Schön und gut, aber würde Tanya wirklich sicher - Robin regte sich.
Ich ließ mich nach hinten sinken.
Facebook.
Was würde De Paine hindern. Riesiges Unigelände. Schusswaffeneigensinnigesmädchen-Einhundert, neunundneunzig, achtundneunzig - na also, das funktioniert doch.
Sekundenlanger Aufschub.
Eigensinniges Mädchen… was würde De Paine hindern…
Am nächsten Morgen gab ich vor, ausgeschlafen zu sein.
Als Robin aus der Dusche kam, fragte sie: »Hattest du eine harte Nacht?«
»Hab ich auf der Nebenhöhlentuba gespielt?«
»Nein, aber du hast dich viel bewegt.«
»Vielleicht ist das die Therapie«, sagte ich.
»Ruhelos zu sein?«
»Austausch des Symptoms.«
»Ich hab dich lieber
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