Post Mortem
»Vielleicht hatte er keinen Appetit mehr«, erwiderte Milo. Eine große, gut gepolsterte Hand wurde ausgestreckt. »Milo Sturgis.«
»Tanya.«
Er setzte sich neben sie. »Tut mir leid, Sie zu unterbrechen.«
»Lieutenant, ich habe noch nie von diesem Jordan gehört.«
»Das hatte ich auch nicht vermutet, Tanya.«
»Kyles Onkel«, sagte sie. »Wie hat Kyle die Nachricht aufgenommen?«
»Er ist ein bisschen durcheinander«, erklärte Milo.
»Glauben Sie, dass das meinetwegen passiert ist?«
Milo musterte die Wandgemälde. Prometheische Gestalten hoben Reagenzgläser hoch, hielten Tastzirkel in der Hand, sahen zu, wie Funken flogen. »Das wäre ein Quantensprung, Tanya. Jordan hat ein Leben geführt, das wir als risikoreich bezeichnen.«
»Das hat mir Dr. Delaware schon erzählt, aber wie können Sie sicher sein, dass es nicht damit zusammenhängt?«
»Das können wir nicht, und deshalb sind wir hier. Sie haben Dr. Delaware erzählt, dass Sie glauben, Ihre Mutter hätte die »schreckliche Sache‹ zur Sprache gebracht, weil sie versuchte, Sie zu beschützen.«
»Das war eher ein Gefühl als ein rationaler Gedanke, Lieutenant. Ich habe es gespürt.«
»Nichts von dem, was sie tatsächlich sagte, hat Sie zu der Annahme verleitet?«
»Nein, nur ihre Intensität. Als ob es wirklich wichtig für mich wäre, das zu wissen. Sie pflegte zu sagen: »Wissen ist Macht.‹ Ich hatte einfach den Eindruck, das sei ein weiteres Beispiel - mich in eine bestimmte Richtung zu lenken. Deshalb habe ich mit Dr. Delaware Kontakt aufgenommen.« Sie blickte zu Boden. »Damit er mich mit Ihnen zusammenbringt.«
Milo kratzte sich an der Nase. Eine Taube flatterte in die Fontäne des Springbrunnens. Trank, duschte, schüttelte sich die Federn trocken und verabschiedete sich. »Kennen Sie sich gut aus bei persönlichen Sicherheitsmaßnahmen?«
»Bin ich in Gefahr, Lieutenant Sturgis?«
»Ich bin nicht bereit, Sie in das Zeugenschutzprogramm aufzunehmen, aber ich fände es schön, wenn Sie vorsichtig wären.«
»In welcher Hinsicht?«
»Das Wesentliche. Halten Sie Fenster und Türen geschlossen, schalten Sie die Alarmanlage ein, wenn Sie nach Hause kommen, schauen Sie sich um, bevor Sie aus dem Auto steigen, reden Sie nicht mit Fremden. Dinge, die Sie ohnehin tun sollten.«
»Tu ich schon«, sagte sie. Ein Taubentrio landete per Sturzflug im Brunnen. »Gilt Kyle als Fremder?«
»Nicht mehr, nehme ich an - Tanya, ich kann Ihnen keine Bedienungsanleitung geben. Es ist nicht problematisch, wenn Sie sich mit ihm in der Öffentlichkeit treffen. Es könnte tatsächlich sogar sinnvoll sein, wenn Sie im Verlauf dieses Treffens etwas Brauchbares in Erfahrung bringen.«
»Wollen Sie, dass ich ihn bespitzle?«
»Manchmal kommen Dinge im Lauf der Unterhaltung zur Sprache.«
»Was zum Beispiel?«
»Vielleicht erinnert sich Kyle an etwas, was seinen Onkel betrifft und uns dabei hilft, diesen Mordfall aufzuklären.«
»Hat Kyle gesagt, er hätte ihm nahegestanden?«, fragte Tanya.
»Er hat gesagt, er und sein Onkel hätten seit Jahren keinen Kontakt mehr gehabt.« Milo lächelte.
»Tanya, ich wette, dass Jordans Drogensucht und seine gesammelten Vorstrafen die Hauptgründe für seinen Tod sind. Aber Dr. Delaware berichtet mir, dass Sie eine verständige, intelligente junge Frau sind, und den Eindruck machen Sie auch auf mich. Deshalb bin ich ganz offen zu Ihnen. Zu diesem Zeitpunkt kann nichts ausgeschlossen werden.«
Sie dachte darüber nach. »Klingt sinnvoll… Ich kann verstehen, dass Kyle mit so jemandem nichts zu tun haben wollte. Bier ist das Stärkste, was er zu sich nimmt.«
»Wie ist das denn zur Sprache gekommen?«, fragte ich.
Sie wurde rot. »Wir haben uns über… Werte unterhalten. Ich nehme an, das klingt dämlich.«
»Tanya«, sagte Milo, »wenn mehr Menschen Werte beachteten, hätte ich mehr Freizeit.«
»Wenn Sie über Werte gesprochen haben, wie kamen dann Drogen ins Spiel?«, fragte ich.
»Eigentlich habe ich das Thema angeschnitten. Ich hab erwähnt, dass ich daran dächte, Psychologin zu werden, und dass mich die ganze biologische Revolution interessierte. Kyle sagte, einer seiner Verwandten bekäme wegen aller möglichen Verhaltensprobleme Medikamente verschrieben, und nach dem, was er gesehen hätte, sei er sich nicht sicher, ob das die richtige Methode sei. Wir redeten schließlich darüber, wo man die Grenze zwischen einer Behandlung und der Förderung chemischer Abhängigkeit ziehen sollte. Das haben
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