Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
ihrer Seite verbrachte. Sein Job als Mordermittler in München ließ ihm ohnehin wenig Zeit, sein Familienleben am Tegernsee zu pflegen, und dadurch war in den letzten Jahren vor Gittis Tod an Sport nicht mehr zu denken gewesen. Er glich dieses Defizit dadurch aus, dass er kaum ein sportliches Ereignis in den Medien ausließ. Dem Sportteil in der Zeitungwidmete er noch vor den Lokalnachrichten seine ganze Aufmerksamkeit.
Mizzi hatte sich wieder beruhigt und streckte sich gähnend auf der Fensterbank in der Sonne aus. Er hatte zuvor versucht, seinen Kopf in Thalmeiers Kaffeetasse zu stecken, er hatte ein unerklärliches Faible für Milchkaffee, war aber verscheucht worden. Thalmeier nahm einen Schluck von dem warmen Getränk und warf erst einen Blick auf den zufriedenen Kater, und dann schweifte sein Blick durchs Fenster auf den grünen Hügel seines Gartens. Das Gras stand hoch, weil er nur allzu selten Lust hatte, den Rasenmäher anzuwerfen. Und je höher das Gras wurde, desto weniger Lust hatte Thalmeier auf diese Arbeit. Die Zwetschgen waren reif, und der Baum, der am rechten Gartenrand seine Sicht begrenzte, trug überreichlich. Er würde ernten müssen und die Nachbarskinder dazu einladen. Die hatten im Gegensatz zu ihm größten Spaß daran, auf die Leiter zu steigen und die Früchte zu pflücken. Außerdem revanchierte sich die Mutter der Kinder bei ihm mit herrlichem Zwetschgenmus. Thalmeier blickte auf den dunstigen See in der Ferne und wurde von einem unbändigen Glück überfallen. Ich bin gesegnet, dachte er. Mir fehlt es an nichts. Ich habe Ruhe und Frieden. Mir geht es so gut wie nur wenigen Menschen auf dieser Welt. Wenn er die Zeitung aufschlug, war er konfrontiert mit Krieg und Armut, Hunger, Durst und Ausbeutung. Ich darf nicht klagen, dachte er dann. Demut, dachte er. Sich an dem erfreuen, was man hat. Und dankbar annehmen, was man bekommt. Er warf einen Blick auf die Stelle an der Wand, an der früher das Kruzifix gehangen hatte. Er hatte es abgenommen, nachdem Gitti nicht mehr war. Aber er wusste, dass er ein gläubiger Mensch war. Er glaubte nicht katholisch, evangelisch, buddhistisch.Aber er war von einem tiefen Glauben erfüllt, und das spürte er gerade jetzt, als er den trockenen Geruch der Zeitung roch, die Wärme des sonnenbeschienenen Holztisches fühlte, das genüssliche Schnurren seines Katers hörte und auf den Frieden der Natur vor seinem Fenster blickte. Dann blätterte er weiter zu den vermischten Nachrichten, und sein Blick fiel auf eine Schlagzeile, neben der das nichtssagende Konterfei eines mittelalten Mannes abgedruckt war. »Frankfurter Investment-Banker entführt – steckt Occupy dahinter?« lautete der Text zum Bild. Schlagartig war Thalmeier wieder in der Realität gelandet.
*
Ihre Hände zitterten, als sie die Meldung entdeckte. Endlich, endlich hatten ihre Mahnungen Früchte getragen! Nun würde die Polizei ermitteln. Sie würden bei Gudrun auftauchen und mit Sicherheit auch ihren Mann finden. Julius. Die Gedanken jagten sich in ihrem Kopf. Sie war unfähig, auch nur einen davon festzuhalten. Wann würde die Polizei vor ihrer Tür stehen? Konnte sie Klaus aus der Sache raushalten?
Beate spürte, dass sie allmählich Angst vor der eigenen Courage bekam. Sie hatte etwas in Gang gesetzt, das sie nicht kontrollieren konnte. Sie blickte wieder hinunter auf die Zeitung und das Bild von Hans Günther Heims. Aufgrund eines anonymen Hinweises, hieß es in dem Artikel. Das war sie! Sie hatte den Hinweis geliefert! Beate wurde schwindelig, und sie nahm einen Schluck von dem stillen Wasser. Den Kaffee hatte sie zur Seite geschoben. Ihr Herz raste ohnehin schon, das dunkle Gebräu würde sie jetzt nicht mehr runterbringen. Dann zwang sie sich, wieder in die Zeitung zu gucken, immer wieder von vorne studierte sie den Artikel. Sie hatteihn schon so oft durchgelesen, dass sie ihn fast auswendig kannte. Der Banker hatte keine Familienangehörigen mehr, lediglich einen dementen Vater im Pflegeheim. Deshalb hatte ihn niemand vermisst. Seine Termine und Geschäfte waren geplatzt, aber da er auf eigene Rechnung arbeitete und bei keiner Firma angestellt war, war auch hier keiner auf das Fehlen des Mannes aufmerksam geworden. Was für ein trauriges Leben, dachte Beate. Er hat keinen Menschen, der sich um ihn Sorgen macht. Er hätte im Keller in der Wettersteinstraße umkommen können, und lange Zeit hätte es niemand gemerkt. Wie würde dieser Mann wieder hineinfinden in sein Leben in
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