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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Weber
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für Klaus. Welche Ausgaben und welche Einnahmen sie hätten. Sollte Julius noch leben und ins Gefängnis gehen müssen, würde ihr nichts weiter übrigbleiben, als Sozialhilfe zu beantragen, oder Hartz vier, wie das heute hieß. Aber siehatte sich umgehört, man konnte dann Wohnkostenzuschuss und einiges mehr zusätzlich beantragen. Sie würde keine großen Sprünge machen können, aber es würde für sie und Klaus reichen. Wenn Julius allerdings tot wäre, dann bekäme sie eine kleine Witwenrente sowie die Leistungen aus dem ärztlichen Versorgungswerk. So grotesk der Gedanke war, so sehr beruhigte er sie gleichzeitig.
    *
    Johannes Stifter war beunruhigt. Er hatte sie schon von weitem gesehen, Annette von Rechlin, wie sie da auf der Treppe vor ihrem Haus kauerte. Er hatte sich beeilt, die Post bei ihren Nachbarn zuzustellen, um möglichst rasch bei ihr zu sein. Als er sein Rad vor dem Gartentor abstellte, hob sie den Kopf. Sie sah schrecklich aus, um zehn Jahre gealtert. Als Annette ihn wahrnahm, versuchte sie ein Lächeln, aber das geriet ihr zur Fratze. Ihre Augen waren blutunterlaufen, sie hatte schwere, dunkle Tränensäcke, und ihre helle Kleidung sah aus, als trüge sie diese seit Tagen. Sie versuchte, sich zu erheben, nachdem Stifter sie gegrüßt hatte, aber sie wankte und musste sich an der Hauswand abstützen. Stifter entschloss sich kurzerhand, sein Rad stehen zu lassen und zu ihr zu gehen. Als er das Gartentor öffnete, winkte Annette von Rechlin ihn zu sich.
    »Helfen Sie mir!«, rief sie ihm mit brüchiger Stimme zu und ließ sich wieder schwer auf die Steinstufen fallen. Sie war voll bis oben hin, das sah Stifter nicht nur, das roch er auch. Ihre Fahne mischte sich mit Schweiß und dem Geruch von ungewaschenem Körper. Er musste sich sehr überwinden, sich ihr zu nähern, und wollte eigentlich in sicherem Abstandvor ihr stehen bleiben, aber Annette warf sich abrupt nach vorne und zog an seinen Hosenbeinen.
    »Bitte«, stammelte sie, »Sie müssen mir helfen.« Sie wollte weitersprechen, aber dann brach sie in unartikuliertes Wimmern und Schluchzen aus, so dass Stifter sie nicht mehr verstehen konnte. Er bückte sich zu ihr, löste ihre Hände, die noch immer seine Unterschenkel umklammerten, und schob sie in eine halbwegs aufrechte Sitzposition. Annettes Kopf hing nach unten, die strähnigen Haare verdeckten wie ein dichter graublonder Vorhang ihr Gesicht. Ihr Wimmern steigerte sich, und Johannes Stifter fasste ihre Oberarme fester und schüttelte sie sanft.
    »Frau von Rechlin«, sagte er mit fester Stimme, »Frau von Rechlin, bitte. Ist Ihnen etwas passiert?«
    Die Frau hob ihr Gesicht und schüttelte sich matt die Haare aus dem Gesicht. Sie hatte Mühe, Stifter zu fixieren, immer wieder glitt ihr Blick zur Seite. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, das Wasser stand hoch in ihren Augen.
    »Meine Mutter«, brachte sie mühsam hervor, »meine Mutter …«
    »Was ist mit Ihrer Mutter?« Stifter glaubte sofort, dass der alten Dame etwas zugestoßen war und er einen Krankenwagen benachrichtigen musste. Aber der Ausdruck im Gesicht von Annette von Rechlin änderte sich im Sekundenbruchteil, er wechselte von entrückt zu wütend.
    »Nein«, stieß die Frau nun plötzlich mit Kraft hervor, »nein, nicht mit ihr.«
    Dann fasste sie Stifter an den Schultern und schob ihr Gesicht ganz nah an seines. Er roch ihren säuerlichen Atem, und augenblicklich kam der Kaffee, den er gerade in der Bäckerei getrunken hatte, wieder hoch.
    »Sie hat einen Mann gefangen«, zischte Annette von Rechlin ihm zu.
    Stifter entspannte sich. Sie war einfach nur betrunken. Kurz vorm Delirium. Vermutlich hatte sie auch wieder Tabletten geschluckt und nun Wahnvorstellungen. Er müsste sie ins Bett schaffen und sie dazu zwingen, ihren Rausch auszuschlafen.
    »Er ist im Keller«, fuhr Annette von Rechlin fort und krallte sich nun in Stifters Schultern. »Ich muss ihm helfen, Sie müssen mir helfen.«
    »Gerne helfe ich Ihnen«, versicherte Stifter sanft und versuchte, Annette von Rechlin hochzuhieven, »aber jetzt müssen Sie erst einmal ins Bett. Sich ausruhen.«
    Doch die Frau zog ihn wütend wieder zu sich hinunter. »Nein! Wir holen ihn da raus, jetzt, sofort. Ich brauche nur den Schlüssel«, lallte sie.
    »Frau von Rechlin«, Stifter versuchte es weiter mit Sanftmütigkeit, »Sie brauchen eine Mütze voll Schlaf.«
    Ihr Ausbruch erwischte Stifter kalt. Annette von Rechlin stieß ihn so heftig von sich, dass er, der vor ihr

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