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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Das Haus war kärglich möbliert. Die mit einem Schmutzfilm überzogenen Fenster spiegelten sein eigenes Gesicht, das graue Kinn, die in die Seite gestemmten Arme oder Hände, die er halb geöffnet hatte, als würde er auf eine Tanzpartnerin zugehen.
    Morgens drehte er das Radio in der Küche laut auf und stellte es erst ab, wenn er zu Bett ging. Der alte Schwarzweißfernseher auf der Kommode dröhnte vor blechernem Gelächter, und das andere Radio auf dem Stuhl, der ihm als Nachttisch diente, sendete tröstlich drauflos, Lieder, die sich gebetsmühlenartig wiederholten, und immer wieder die aufgeregte Stimme, die schrie: »National shoes ring the bell!«, bis er einschlief, und im Schlaf hörte er mit halbem Ohr unter dem Wind Stimmen, die zwischen der Musik lachten, wie eine ferne Familie, das Knistern von Galaxien im Ätherrauschen.
    Auch im Herbst ließ die Dürre nicht nach. Jase erlitt einen Rückfall und ging wieder jeden Tag in die Veteranenklinik. Es brachen die trockenen Stürme der Herbst-Tagundnachtgleiche herein: Wind, Erde und geballte Bündel von Dornengestrüpp wehten über die Felder, sammelten beim Dahinrollen Artgenossen auf, übersäten die Erde mit Samen. Er hörte sie nachts mit gedämpftem Kratzen gegen das Haus angehen.
    In der letzten Oktoberwoche, als die Bohnen noch standen, war der Wind eine Flutwelle, die vom Westen über die Erde brauste. Das Haus bebte. Loyal saß auf der Bettkante und schrieb in das Buch des Indianers, das jetzt ein Rechnungsbuch mit grünen Seiten und senkrechten Spalten für Einnahmen und Ausgaben war. Die Farm wurde davongeweht. Der Himmel erstickte am Staub, die Sterne schwelten. Das Haus wurde mitsamt den Fundamenten nahezu hochgehoben, die Fenster barsten fast. Der Wind im Kamin folterte die Hündin. Nur Loyals Füller, der sich schwarz, flüssig bewegte, war ruhig.
    »Von einer Hornisse in den Daumen gestochen. Bohnen fast soweit. Noch ein paar Tage. Den ganzen Tag starker Wind. Wie’s Jase wohl geht.«
    Am Morgen war es düster im Schlafzimmer. Er setzte sich auf, schaute auf den Wecker auf dem Nachttischstuhl und sah, daß es halb acht war, heller Tag, und doch war es im Zimmer dunkel. Er konnte den Wind kaum hören, aber das Beben im Bett spüren. Das Fenster war von etwas verdeckt, wie ein Quellabfluß, der von Weidenzweigen verstopft war. Er ging ans Fenster und schaute, während das langgezogene Gesicht sich in der Scheibe spiegelte, sah Dornengestrüpp, Dornengestrüpp, das sich bis zum Fenster im ersten Stock staute.
    Übers offene Land hatte der Wind die Gestrüppballen gejagt, sie zusammengetrieben, bis sie an Stacheldraht hängenblieben oder sich an Gebäude und Pferche drückten und sich zu Wällen auftürmten. Er ging nach unten. Stockdunkel. Er brachte die Küchentür nicht auf. Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Sie gab ein paar Zentimeter nach und schnellte wieder zurück, als wäre sie aus Gummi. Er schaltete das Radio an, aber der Strom war weg.
    Im oberen Stockwerk drang unter der Tür des Gästezimmers helles Licht durch. Dieses Fenster, im Windschatten des Hauses gelegen, war frei. Er schaute hinaus. Der Wind brauste noch immer über die Prärie, Dornengestrüpp wirbelte durch den Staub. Unter ihm türmte sich das Dornengestrüpp über drei Meter hoch, aus dem damit überfluteten Hof auf der Vorderseite des Hauses um die Ecke gedrängt. Er wollte nicht an einem Seil aus Laken in das Gestrüpp hinunterklettern, sich dann bis dahin durchschlagen, wo am Abend zuvor die Haustür gewesen war und mit autogroßen Gestrüppballen ringen, aber eine andere Möglichkeit fiel ihm nicht ein. Vielleicht einen Teil des Zauns umlegen, damit das Gestrüpp durchziehen konnte.
    Als er sich an den Laken hinabließ, hörte er im Westen die Sirenen. Wenn jemand in so ein Ding auf der Straße raste, würde er sich überschlagen, dachte er. Das Laken zerrte an den Knoten. Die Knoten werd’ ich nie wieder aufbringen, murmelte er leise und spürte das Gestrüpp unter seinen Füßen nachgeben.
    Der Hof war voll Gestrüppkugeln, groß wie Stühle, groß wie Autos. Der Zaun lag am Boden. Der Zaun war das Problem. Er hatte das Gestrüpp Richtung Haus gelenkt. Sein Wagen steckte im Gestrüpp. Er konnte das Glas funkeln sehen, aber es gelang ihm nicht, sich durch die drahtigen, turbangleichen Knoten aus ineinander verschlungenen Stengeln zu kämpfen. Der Wind trieb sie noch immer voran. Er sah die großen Bälle über die Hauptstraße rollen. Er zerrte an

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