Postkarten
hätte sie das schmutzige Papier in den Ofen gestopft und verbrannt. Der Elektroofen war zwar sauber, konnte aber keine Socken trocknen, kein Papier verbrennen, keinen Brotteig zum Aufgehen bringen und keine Gemütlichkeit verbreiten. Und er war teuer im Verbrauch. Das nannte man Fortschritt.
Ab neun hatte sie nichts weiter zu tun, als zu stricken. Sie war ruhelos. Die Wolle blieb an ihren rauhen Fingern hängen. Der Wohnwagen engte sie ein. Sie hatte Lust auf eine schöne Autofahrt, wollte auf die Straße hinaus und etwas sehen. In Wahrheit vermißte sie die Arbeit in der Konservenfabrik.
Sie musterte den trüben Morgen. Der Himmel glich einer alten Pferdedecke. Die öden Wochen vor dem ersten Schnee. Also, sie würde einfach Richtung Osten fahren, auch wenn es nach Regen aussah. Sehen, wie weit sie kam. Den Käfer tun lassen, was er konnte.
Am Mittag war sie in Littleton, müde und durstig. Sie brachte eine Viertelstunde damit zu, einen Imbiß zu suchen. Sie hatte leichte Kopfschmerzen. Der Ausflug war länger, als er auf der Karte ausgesehen hatte. Der schwere Himmel wirkte bedrohlich. Ein Glas Ginger-ale würde ihr guttun. Vielleicht ein Hühnchensandwich, während sie die Landkarte studierte. Sie genoß es nach wie vor, irgendwo hineinzugehen und zu bestellen, wonach ihr der Sinn stand, und dann mit ihrem eigenen Geld zu bezahlen.
Sie parkte vor dem Cowbell Diner. Drinnen nahm sie in einer lackierten Sitzecke Platz und zog die Speisekarte hinter dem Serviettenspender hervor. Auf dem Tisch Krümel und Ketchupschlieren. Eine Kellnerin lehnte an der Theke, die andere saß vor ihr auf einem Hocker, rauchte und trank Kaffee. Es waren noch ein paar Gäste da. Ein Mann in einer zerschlissenen Jacke schien sich zu Hause zu fühlen, er schenkte sich aus der schmuddeligen Kanne, die hinter der Theke stand, Kaffee nach.
»Lassen sich ganz schön Zeit«, schimpfte Jewell vor sich hin. Das Mädchen kam her und wischte mit einem Lappen über den Tisch.
»Womit kann ich dienen?«
»Ich möchte ein Glas Ginger-ale ohne Eis und ein einfaches Hühnchensandwich, bloß Hühnchen und Salat mit ein bißchen Mayonnaise.«
»Weiß oder Voll?«
»Was?«
»Wollen Sie das Hühnchen auf Weißbrot oder auf Vollkornbrot?« Das Mädchen wackelte mit dem Oberschenkel, warf der anderen Kellnerin einen Blick zu. Jewell erkannte den Typ. Es gab eine Art Verkäufer, Bedienung, Kassierer beiderlei Geschlechts, die mit älteren Menschen nahezu unhöflich umgingen. Sie ließen sich Zeit, redeten herablassend, knallten einem die Sachen hin. Jewell wettete darauf, daß das Mädchen hier das Ginger-ale überall verschütten würde. Hundertprozentig.
Das Brot war gewellt wie eine Pagode, so daß der verwelkte Salat und ein Klumpen graues Hühnchen zu sehen waren. Das Ginger-ale bestand größtenteils aus Eis und Schaum. Sie tupfte die verschüttete Flüssigkeit mit Papierservietten auf und beugte sich über ihre Straßenkarte. Sie war bestürzt, als sie sah, daß die Autostraße auf der anderen Seite des Berges hinaufführte. Sie mußte erst nach Norden und um den Berg herumfahren, das waren noch einmal neunzig Kilometer. Als ihr die Kellnerin die Rechnung brachte - einen Dollar fünfundsiebzig -, fragte sie sie, ob es einen schnelleren Weg zur Autostraße gebe.
»Zur Autostraße? Ich weiß nicht einmal, wo die ist. Melanie, weißt du, wo die Autostraße ist?«
»Auf den Mount Washington hinauf«, sagte Jewell. »Die Autostraße, die den Mount Washington hinaufführt.«
»Ich war oben«, sagte Melanie. »Es war bewölkt.«
»Was ist die beste Strecke?«
»Sie nehmen einfach die Hundertsechzehn, dann biegen Sie auf die Zwei, dann auf die Sechzehn, weiter weiß ich nicht. Von hier sind’s ungefähr zwei Stunden.«
»Gibt’s denn keine Abkürzungen - Nebenstraßen?«
Die erste Kellnerin antwortete: »Nicht, daß ich wüßte. Also wohin bist du gestern abend ausgegangen, Melanie?«
Der Mann in der karierten Jacke schwenkte auf seinem Hocker herum. »Haben Sie ein gutes Auto?« Unrasiertes Kinn, Augen wie eingelegte Zwiebeln. Alter Trottel.
»Ja, hab’ ich«, sagte Jewell und dachte an den ernsten Käfer. »Ich fahre damit überallhin.«
»Also, wenn Sie ein gutes Auto haben und es Ihnen nichts ausmacht, von der Hauptstraße abzufahren, dann gibt’s eine Abkürzung. Da sparen Sie zwölf, sechzehn Kilometer.« Er humpelte zu ihr und beugte sich über die Karte. »Ist eine Holzfällerstraße. Vergessen Sie die Hundertsechzehn. Schauen
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