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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Sie, Sie fahren hier runter, sehen Sie, nehmen die Hundertfünfzehn, fahren an Carrol vorbei, so fünf Kilometer bis hinter Carrol, dann halten Sie rechter Hand Ausschau. Nach einer Reihe Lagerschuppen, so sechs, acht Schuppen, weiß nich’ genau, und nach den Schuppen gibt’s’ne Abzweigung nach rechts. Die nehmen Sie nicht, aber ungefähr’n Kilometer weiter gibt’s noch’ne Abzweigung nach rechts, und die nehmen Sie. Die verläuft hier quer rüber und kommt irgendwo da raus.« Sein Finger glitt über die Landkarte. »Spart Ihnen ungefähr fuffzehn Kilometer. Wenn Ihnen’ne Schotterstraße nichts ausmacht.«
    »Auf anderen fahr’ ich kaum«, sagte sie. »Danke für die Auskunft.«
    »An seinen Rat würd’ ich mich nicht halten, und wenn Sie mir was dafür zahlen täten«, sagte Melanie.
     
    Es war Viertel vor zwei, als sie die klapprigen Holzschuppen erreichte. Sie fuhr an der Abzweigung nach rechts vorbei und beobachtete den Kilometerzähler. Nach zwei Kilometern zweigte eine ausgefranste Kiesstraße nach Südosten ab. Sie bog ab. Kein Lufthauch. Der düstere Himmel, die abgenagten Tannen auf dem Seitenstreifen und dahinter die ruppige Böschung, die in Gestrüpp und Pappellaub erstickte, deprimierten sie. Sie war müde. In den Käfer sickerte Kälte. Es würde vermutlich fast vier sein und allmählich dunkel werden, bis sie oben auf dem Gipfel des Mount Washington ankäme. Um welche Uhrzeit schloß der Laden, wo man die Autoaufkleber kaufen konnte? Aber sie war so nah, daß es eine Schande gewesen wäre, es nicht zu versuchen. Es war ein Abenteuer, in der Dämmerung den Mount Washington hinaufzufahren. Und wieder herunterzukommen. Laß es nicht regnen, dachte sie, und war froh, daß sie neue Bremsen hatte.
    Die Straße wurde holpriger, schmaler - ein fahler Kiesweg durch den dunklen Forst. Nach zwei, drei Kilometern gabelte sich die Straße. Es gab keine Schilder, keinen Anhaltspunkt, welche Abzweigung wohin führte. Die rechte schien die bessere Wahl, und sie nahm sie. Die namenlose Straße führte über eine Brücke und schlängelte sich dann in Windungen und Schleifen hügelan; nach links und rechts gingen unzählige Wege ab. Kilometer um Kilometer führte die Straße tiefer in den Wald. Sie fuhr an Holzsammelstellen und an einem uralten grünen Wohnwagen vorbei, dessen Dach eingefallen war; über der sperrangelweit offenstehenden Tür baumelte ein Geweih. Die Straße wurde schwarz und in den Vertiefungen schlammig. Dreck spritzte auf die Windschutzscheibe. Der Kies hatte aufgehört. Sie kämpfte sich einen Felsvorsprung hinauf und auf einem Pfad aus nebeneinandergelegten, verrottenden Baumstämmen durch einen Sumpf. Zum Wenden war kein Platz. Sie hatte jetzt Angst und wollte umkehren, konnte aber nur weiterfahren. Die ersten Tropfen eiskalten Regens. Ein Elch patschte durch eine Gruppe Tannenstümpfe. Das kleine Auto schlingerte durch Löcher, und dann blieb der Auspufftopf an einem der Baumstämme hängen, ehe sie aus dem Sumpf war. Der Pfad - es war keine Straße mehr - wurde steiler, ein ausgewaschener Alptraum aus Steinen. Sie konnte nicht umkehren, konnte kaum weiterfahren.
    Der feine Eisregen blieb auf der Windschutzscheibe liegen. Die Scheibenwischer schabten wirkungslos über Schlamm und Eis. Schließlich rutschte sie seitlich ab, dann ein Knirschen. Der Volkswagen hing fest. Sie stellte den Motor ab, stieg aus und schaute unter den Wagen, sah den Felsen, der gegen den Unterboden drückte. Der Eisregen trommelte auf das kleine Auto, zischelte durch die Tannen. Man bräuchte einen Hubschrauber, um den Käfer von dem Felsen zu heben, dachte sie. Im Kofferraum des alten Wagens war ein Wagenheber gewesen, aber der war verschwunden, als sie den Volkswagen bekam. Aber wenn sie eine oder zwei dicke Stangen fände und sie unter den Käfer schieben könnte, dann hätte sie vielleicht eine Chance. Falls sie die Kraft dazu hätte. Sie mußte es versuchen. Wünschte, Mink wäre bei ihr. Begriff, wie er seine Wut genutzt hatte, um sich durch schwierige Arbeiten zu kämpfen, durch ein schwieriges Leben. Ihr Herz klopfte. Sie stolperte ins Unterholz auf der Suche nach einem soliden, festen Strunk. Dafür war sie nicht richtig angezogen, dachte sie, als der Saum der Strickhose an Aststümpfen hängenblieb.
    Ein Verhau aus Ästen, verrottende Stämme, grüne Schößlinge - nichts, was geeignet gewesen wäre. Sich durch das Gewirr aus abgestorbenem Holz zu schlagen war Schwerstarbeit. Keuchend gelangte sie an

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