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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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und sich ihm halb zuwandte, als würde er sich bereit machen, das Lenkrad zu packen. Er fuhr auf die Fernstraße, steuerte Richtung Norden, aber die Süße des Tages war zerronnen, nachdem der Indianer eingestiegen war.
    Der Indianer sagte, er sei unterwegs zum White-Moon-Reservat, achtzig Kilometer südlich von Cork Lake.
    Weener sagte, er würde fahren, wenn Loyal es wolle, aber Loyal lehnte ab, er wollte sein Auto selbst fahren. Er ließ das Fenster offen wegen der Hitze, die sich flimmernd über die Straße legte.
    »Verdammt schönes Farmland«, sagte Loyal, während er seinen Blick über den fruchtbarsten Boden der Welt schweifen ließ, Grasschichten, die seit einer Million Jahren vermoderten, auf beiden Seiten der Straße zu erdigen Teppichen ausgerollt. Die Farmen lagen in großen Vierecken, zu jeder führte eine Phalanx von Bäumen, die das Haus vor dem Wetter schützte.
    »Diese Felder sind so flach«, sagte der Indianer, »daß man von einem Ende zum anderen sehen kann, wenn man auf dem Trittbrett steht. Aber Sie sollten’s mal erleben, wenn die Überschwemmungen kommen, wenn der Fluß über die Ufer tritt. Es ist wie eine Fata Morgana, alles, Häuser, Traktorschuppen ragen aus dem Wasser heraus, es ist wie das Meer, das Wasser kann nirgends hin, nur sich ausbreiten. Wenn eine kleine Bö es wellt, dann sieht man, wie die Welle sich einen Kilometer weit fortbewegt.«
    »Das muß ja ein Schlamm sein«, sagte Loyal.
    »Ich kenn’ Leute, die sind reingefallen und nie wieder rausgekommen.«
    »Das stimmt«, sagte Weener. »Im Schlamm ersoffen, im Schlamm erstickt, im Herbst beim Pflügen finden sie einen dann wie einen alten Stock.« Er erzählte Witze. Der Indianer saß still auf der Rückbank, Kette rauchend.
    Am späten Vormittag zogen hinter ihnen im Südosten Gewitterwolken auf. Gegen mittag fuhr Loyal in eine Texaco-Tankstelle in Little Falls.
    »Volltanken?« Der Tankwart rieb mit einem triefenden Lumpen über die Windschutzscheibe. Seine Arme waren zu kurz, um bis zur Mitte der Scheibe zu reichen. Sein Hemd rutschte aus der Hose und entblößte einen haarigen Bauch, auf dem sich schmutzige Ringe abzeichneten.
    »Ja. Und überprüfen Sie Öl und Wasser.«
    Loyal zahlte mit einem Fünf-Dollar-Schein, aber bevor er auf die Fernstraße zurückfahren konnte, bat der Matrose ihn, einen Moment zu warten, öffnete die Tür und stieg aus.
    »Ich sag’ Ihnen was«, brabbelte Weener rasch, »ich lauf’ nur schnell zu dem Lokal und hol’ was zum Futtern. Wir können Zeit sparen, uns ein paar Schinkenbrote und Bier holen und unterwegs essen. Ich hol’ das Zeug. Mein Beitrag.« Er rannte über die Straße und in das Lokal. In erhabenen Lettern stand da ZUM EINSAMEN ADLER, und darunter waren ein Adler und ein Flugzeug aufs Glas gemalt, die in einen Sonnenuntergang flogen.
    Loyal und der Indianer warteten ein paar Minuten an der Zapfsäule. Als ein Lkw zum Tanken heranfuhr, stellte Loyal das Auto so auf der Straße ab, daß Weener sie sehen konnte, wenn er herauskam. Schweigend saßen sie da. Nach einer Weile öffnete der Indianer seinen Koffer und nahm ein Notizbuch heraus. Mit seinen Fingern blätterte er rasch die Seiten durch. Kritzelte.
    »Warum zum Teufel braucht er so lang? Jetzt ist er schon’ne halbe Stunde beim Essenholen«, schimpfte Loyal.
    Der Indianer blätterte um. »Er ist fort. Hab’ ihn durch die Seitentür rauskommen sehen, gleich nachdem er vorne rein war. Schlich die Straße rauf.«
    »Wollen Sie damit sagen, wir sitzen hier, und er ist verduftet? Herrgott noch mal, warum haben Sie nichts gesagt?«
    »Hab’ gedacht, Sie hätten ihn auch gesehen. Hab’ gedacht, Sie hätten’nen Grund, hier zu sitzen.«
    Loyal stieg aus dem Auto und überquerte die Straße. Er war im Lokal, ehe ihm die Zündschlüssel einfielen. Er rannte wieder hinaus, aber das Auto stand noch da, mit dem Indianer auf dem Rücksitz. Er ging wieder in das Lokal. Hinter der Theke schnitt ein dünner Mann, dessen Mund auf einer Seite verächtlich nach unten gezogen war, Kuchen auf. Sein dichtes Haar war weit links gescheitelt und türmte sich auf seinem Kopf zu einer fülligen Tolle. Seine großen, glasigen Augen waren von so hellem Blau, daß sie farblos wirkten. Er griff nach einem Sägemesser mit abgebrochener Klinge. Unter einer Glasglocke lag eine Pyramide in Zellophan gewickelter belegter Brote, rote Schinkenstreifen, grauer Thunfisch.
    »Ist hier vor fünfzehn, zwanzig Minuten ein Matrose reingekommen?« fragte Loyal

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