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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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und wandte rasch den Kopf, um nach dem Auto und dem Indianer zu sehen. »Kräftiger, schwergewichtiger Kerl. Mit Namen Weener.«
    »’n Matrose kam rein, den Namen weiß ich nicht. Ist gleich wieder zur anderen Tür raus. Die Leute nehmen’ne Abkürzung. Ich hab’ ein Schild an die Tür gehängt, KEIN AUSGANG, aber es hat keinen Zweck. Sie tun’s trotzdem. Ist wie’ne Autobahn hier, aber keiner kauft was. Heut abend nagle ich das verfluchte Ding zu.«
    Loyal sah aus dem Fenster. Der Indianer saß im Auto. Er beschloß, ihn loszuwerden, so schnell er konnte.
    »Da nimmt man einen Tramper mit, und der haut ab. Verdammt, geben Sie mir zwei von den Broten. Eins mit Schinken und eins mit Thunfisch.«
    »Hab’ kein’n Thunfisch. Hühnchensalat.«
    »Na gut. Geben Sie mir von jedem eins. Zwei Stück Kuchen. Haben Sie Dr. Pepper?« Er würde dem Indianer zu essen geben und ihn dann loswerden. So gäbe es keinen Ärger.
    Der dünne Mann wischte sich die Hände an der Schürze ab und legte langsam die Brote in eine weiße Tüte. Wickelte die Kuchenstücke in Wachspapier. Tippte alles in eine verzierte alte Registrierkasse, die seit Woodrow Wilsons Zeiten hier stehen mußte, dachte Loyal.
    »Macht eins siebzig.«
    Loyal wollte aus seiner rechten Hosentasche Geld holen, und da wußte er, warum der gerissene Matrose Weener verschwunden war.
    »Der Hund hat mein Geld geklaut. Er hat mich ausgeraubt.«
    Der dünne Mann nahm die eingewickelten Kuchenstücke und die Brote aus der Tüte. Er zuckte die Achseln, sah Loyal nicht an.
    Der Indianer saß noch immer auf dem Rücksitz, den Kopf gesenkt, konzentriert. Las etwas.
    Auf dem Bürgersteig steckte Loyal seine Hände tief in sämtliche Taschen, tastete immer wieder nach dem dicken Geldbündel, der größte Teil der sechshundert Dollar, die er den Winter über gespart hatte, das Startkapital, der Neubeginn, seine Reisekasse. Es war weg. Er stieg ins Auto, warf sich auf dem Sitz zurück. Der Indianer schaute auf.
    »Wissen Sie, was er gemacht hat? Der Matrose? Mir das Geld aus der Tasche geklaut. Er ist mit meinem ganzen Geld auf und davon. Er muß es sich geschnappt haben, gleich nachdem ich das Benzin bezahlt hatte. Für das Geld hab’ ich den ganzen Winter in einer stinkenden Fabrik geschuftet.«
    Nach einer Weile sagte der Indianer: »Lassen Sie nie mehr als einen Fünfer in Ihrer Tasche. Heben Sie nie Ihr ganzes Geld an einer Stelle auf.«
    »So blöd bin ich nicht. Er hat nicht alles gekriegt. Hundert hab’ ich noch im Schuh, aber er hat den ganzen Rest. Von dem, was er geklaut hat, hätt’ ich ein ganzes Jahr leben können.« Er blickte die Straße entlang in die Richtung, die Weener nach Aussage des Indianers eingeschlagen hatte. »Na ja, ich weiß, wo ich ihn finde. Er hat mir gesagt, daß er unterwegs nach Hause ist, eine Kleinstadt hinter Wadena. Leaf Falls. Dort lebt seine Frau.«
    »Leaf River, meinen Sie«, sagte der Indianer. »Aber er kommt nicht aus der Gegend. Haben Sie nicht gehört, wie er geredet hat? Ist nicht von hier. Mir hat er erzählt, er ist unterwegs zu seiner Freundin in North Dakota. Hat gesagt, er hat’nen Brief bekommen, daß sie schwer krank ist, aber er glaubt, daß sie schwanger ist, darum will er nach dem Rechten sehen. Hat er gesagt.«
    »Ein Dieb und Lügner«, sagte Loyal. »Ich wette, er ist auch nicht bei der Marine. Hat den Matrosenanzug vermutlich gestohlen. Ein diebischer, verlogener Landstreicher. Wenn ich den finde, wird er keine Lügen mehr erzählen, ich reiß’ ihm die Zunge raus. Ich hol’ ihm das Hirn durch die Nase raus.« Er ließ den Wagen an und fuhr langsam die Straßen von Little Falls ab, hielt an und lief in Geschäfte, das Wirtshaus Zum Schwarzen Hut, den Lebensmittelladen, fragte, ob jemand den Matrosen gesehen habe. Der Indianer saß auf dem Rücksitz, den Zeigefinger im zugeschlagenen Notizbuch. Es wurde immer heißer. Die Bürgersteige leerten sich langsam, die Leute verzogen sich in den kühlen Schatten, auf ihre Küchenstühle und alten Sofas mit pastellfarbenen Tagesdecken.
    Die Straßen endeten in leeren, unbefestigten Wegen. Am Ende einer kurzen Gasse sahen sie ein Schild LINDBERGH-PARK. Loyal fuhr unter die Bäume und stellte den Motor ab. Er lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Seine Hände und Füße waren angeschwollen. Der Schweiß rann ihm vom Haaransatz hinunter, an den Ohren vorbei. Der Wind wehte und wehte. Im Espengehölz schwankten die Bäume, zischten wie schwere Gischt auf

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