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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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verfluchten Skandinavier. Ein Kerl hat fast angehalten, tritt auf die Bremse, daß der Kies hochspritzt, aber in dem Moment, wo ich meine Hand auf den Türgriff lege und er mich richtig sieht, hat er sich aus dem Staub gemacht, als ob’s’nen Riesenpreis dafür gibt, wer’s als erster nach Little Falls schafft, und er bildet das Schlußlicht.«
    »Sie wollen nach Little Falls?« fragte Loyal.
    »So die Richtung, ja. Direkt, nein. Ich will meiner besseren Hälfte’nen Überraschungsbesuch abstatten, meiner kleinen Frau oben in Leaf River, nördlich von Wadena. Dort leben ungefähr vier Leute, und ich, wenn ich da bin, bin ich einer davon, melke Kühe, mähe Heu, prügle mich mit dem Nachbarn. Wenn ich nicht da bin, will ich wissen, ob einer meinen Platz einnimmt. Wo ich war, da hab’ ich zu viele liebe Jungs getroffen, die bedenkenlos einspringen, und da hab’ ich mir gedacht, was ist eigentlich mit Kirsten, sehen Sie, ich kenn’ mich mit den Skandinaviern aus, weil ich eine geheiratet hab’, ich frag’ mich also, was ist mit Kirsten und Jugo. Jugo lebt auf der nächsten Farm, wir arbeiten zusammen, beim Heumachen, Zäunebauen, Aushelfen, was grade so anfällt, ist meine Egge kaputt, leiht Jugo mir seine, hat er einen Heurechen, dem die Zähne ausfallen, nimmt er meinen. Sie schreibt mir, daß Jugos Frau so Ende März gestorben ist, nette Frau, gutaussehend, gute, füllige Frau, hätte mir gefallen können. Sie wurde von einem Stinktier gebissen, steht in dem Brief, als sie hinter dem Holzschuppen aufräumen wollte, starb an Tollwut. Der Doktor konnte nichts für sie tun. Also fang’ ich an zu denken, was tut Jugo, wenn der Axtgriff bricht? Er kommt rüber und nimmt meine. Was tut Jugo, wenn er Vier-Zoll-Nägel braucht? Er kommt rüber und schaut, ob ich welche habe. Was tut Jugo, wenn seine Frau das Zeitliche segnet? Vielleicht kommt er rüber und behilft sich mit meiner, weil ich nicht da bin. Also hab’ ich’ne Woche Urlaub genommen, und es sind bloß noch drei Tage davon übrig.« Er ließ seinen Wortschwall abbrechen und deutete auf eine schlurfende Gestalt auf dem Seitenstreifen. »He, nehmen Sie den Jungen mit. Der ist in Ordnung. Ich hab’ gestern mit ihm geredet, und keiner will ihn mitnehmen, bis die Hölle zu Eis gefriert. Er ist zwar Indianer, aber in Ordnung.«
    Loyal dachte, daß die Tramper am ersten warmen Tag aus ihren Löchern kriechen. Er war fast zweitausend Kilometer gefahren, ohne einen Menschen zu sehen, der den Daumen hochhielt, und jetzt gab es auf ein paar Kilometern gleich zwei.
    »Sie kennen ihn?«
    »Nee. Er lief gestern nachmittag an mir vorbei, blieb stehen und redete’ne Weile mit mir. Wurde gerade aus der Armee entlassen. Ist irgendwie anders, aber er stammt von hier aus der Gegend, gleich die Straße rauf. Er wird uns aufmuntern. Darum nimmt man Anhalter ja mit, stimmt’s? Damit sie einen aufmuntern, ein paar Geschichten erzählen, manchmal zeigen sie einem auch, wo sie tätowiert sind.« Er zwinkerte Loyal zu, daß das kleine linke Auge hinter dem dicken Lid, den klebrigen Wimpern verschwand.
    Loyal ging vom Gas, als er den Mann erreichte, betrachtete ihn im Rückspiegel. Er sah schwarzes Haar, zurückgekämmt wie bei Clark Gable, ein breites Gesicht, über den Wangenknochen spannende Haut, Tweedjackett, schmutzige Jeans und Schlangenlederstiefel.
    »Die Jacke sieht eher nach Anwalt als nach Indianer aus«, sagte er.
    »Danke.« Der Indianer kletterte auf den Rücksitz, nickte zwei-, dreimal. Seine Wangen waren glatt, und er roch nach einem herben Rasierwasser. Aber jetzt war es, als wäre ein Tier im Auto. Die schwarzen Augen des Indianers wandten sich dem Matrosen zu. »So sieht man sich wieder«, sagte er.
    »Das beweist wieder mal, daß man nie weiß, wie die Dinge ausgehen, Skies. Der gute Samariter hier ist bisher anonym.«
    »Loyal«, sagte er. »Loyal Blood.«
    »Dritter Maat Donnie Weener«, sagte der Matrose. »Und das ist Blue Skies, im Ernst, so heißt er.«
    »Kurz Skies«, sagte der Indianer. »Singen Sie bitte nicht das Lied.«
    Da kam Loyal zum ersten Mal der Gedanke, daß die beiden vielleicht unter einer Decke steckten, so gut miteinander bekannt waren wie zwei Münzen in einer Hosentasche, zwei Korken in einer Flasche, mit nur einer Absicht wie ein Stift, der an beiden Enden gespitzt ist. Es gefiel ihm nicht, daß der Indianer hinter ihm auf der Rückbank saß, es gefiel ihm nicht, wie der Matrose Weener einen Arm über die Rückenlehne gelegt hatte

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