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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Klavierlehrerin in Bellows Falls ein, die sich in einer Hotelbadewanne ertränkt hat, nachdem sie ihren Körper mit Lexika beschwert und ihre Arme in einen Gürtel um ihre Brust gezwängt hat.
    Dub und Mink treiben die Kühe, Dub, dessen zerlumpte Kleider flattern, zieht das Gatter auf, das den Hof von den Weiden trennt, Mink schlägt mit seiner Vorhangstange aus Messing auf die dungverbackenen Flanken ein. Er bückt sich langsam, hebt die Stange auf, die er in den Dreck hat fallen lassen, und kehrt in den Stall zurück. Er zieht ein Bein nach. Müht sich so dahin, denkt sie. Eine Wäscheklammer zerbricht, als sie sie auf schwarzen Köper zwingen will, und die Flecken stechen ab wie frisch gepflügte Felder.

II

14
    Unten in der Mary Mugg

    Als Loyal mit seinem Automatenschritt den Pfad hinaufging, atmete er die Bergluft durch den Mund ein. Sie schmeckte ein bißchen wie das Ozon nach einem Blitzschlag. Sie brannte Loyal in den Lungen, löste seinen morgendlichen Hustenanfall aus, und er spuckte Gesteinsstaub aus.
    Er hörte das Geläut von Bergs Maultier oben am Mineneingang. Im Westen flammte der Gipfelkamm des Copper Peak im roten Licht. Das Holz eines alten Erzlorengerüsts spiegelte Violett- und Rosatöne wider. Der Felsen glühte orange, warf einen schiefen schwarzen Schatten, es sah aus wie ein abgehobener Packen Karten.
    Berg hätte in seinem Lkw hinauffahren können, wenn er gewollt hätte, aber er ritt auf dem Maultier, das er nach seiner ältesten Tochter Pearlette benannt hatte. Jedesmal, wenn er Pearlette sagte, fiel Loyal seine kleine Tochter ein, er stellte sie sich dünn und traurig vor, das rötliche Haar in Zöpfen, aus einem Dachfenster auf die Straße hinausblickend, die zur Mary Mugg führte. Störte es die Kleine, ihren Namen mit einem Maultier zu teilen?
    Deveaux, der Schichtleiter, war ebenfalls oben am Eingang, kauerte seitlich davon, braute in einer kleinen Metallkanne Kaffee. Er hätte aus der Kantine einen Pappbecher Kaffee holen können, aber er mochte ihn so lieber. Er gab an mit der Zeit, als er nach dem Krieg mit einem Geigerzähler auf dem Rücken über das sandige Colorado-Plateau wanderte, um nach Uran zu suchen. Er wartete, bis der Satz sich gesetzt hatte, und trank den Kaffee dann schwarz aus der Kanne, so daß sein Mund rußverschmiert war. Als er ihn abwischte, verschmierte er den Ruß in die teigige Haut und den gelben Bart. Mit dem kurzen Hals und den hochgezogenen Schultern hatte Deveaux etwas von einer Wühlmaus.
    »Ich komme zur Mary Mugg zurück«, erzählte er ihnen mit seiner merkwürdigen Stimme, die süßlich und zugleich körnig war wie das Fleisch einer Birne, »zur Erholung von den roten Lehmgruben oben auf dem Plateau, zur Erholung von den Kopfhörern. Ich hör’ das Klick-Klick-Klick im Schlaf.« Er war erdfarben zurückgekehrt, nicht wurmweiß wie ein Bergarbeiter. Er hatte Erfahrung, hatte die dreckigen Dreißiger über in der Mary Mugg gearbeitet. Als Roosevelt während des Krieges die Goldminen schließen ließ, war Deveaux als Sprengstoffexperte zur Armee gegangen. Die Mine wurde 1948 wieder aufgemacht, aber da hatte er schon den Geigerzähler umgeschnallt, schlief unruhig im Freien bei den Kojoten, träumte von der kühlen Stille unter der Erde und der Art, wie das Bett quietschte, wenn seine Frau sich umdrehte.
    Er war kompakt wie ein Klappmesser und durch das Bergarbeiterleben abgestumpft. »Ich hab’ so viele Jahre unter der Erde verbracht, Jesus Christus, immer wieder, seit ich siebzehn war, daß ich oben auf dem Plateau das Gefühl hatte, bis aufs Fleisch geschält zu werden. Mrs. Dawlwoody glaubt, ich bin wieder hier, um ihr einen Gefallen zu tun, aber ich schwöre bei Jesus Christus, ich arbeit’ umsonst, nur damit ich nicht mehr unter freiem Himmel sein muß. Ich hab’ den ganzen Tag lang rote Flecken vor den Augen gesehen, geblinzelt, die alten Augen fangen an zu tränen. Zu hell, zu heiß, alles beobachtet einen. Der Wind läßt nie nach, wie ein Kind, das dir den ganzen Tag am Ärmel zupft: ›Papa, kauf mir was Süßes.‹ Das hab’ ich an der Landwirtschaft so gehaßt. Damit hab’ ich’s fünf Jahre lang versucht. Da sitzt du den ganzen Tag auf dem Traktor oder spannst Zäune, und der Wind bläst dir Dreck ins Gesicht, peitscht dir die Haare in die Augen, wirbelt deinen Hut bis in den nächsten Bezirk und lacht, wenn er dich hinterherrennen sieht.« Er senkte den Kopf, flüsterte seinen Knien zu: »Im Bergwerk ist es nicht so schlecht.

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