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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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der Landwirtschaft nichts mehr am Hut, Clyde Darter ausverkauft und nach Maine verschwunden. Die Bank hatte den Besitzer gewechselt und war von irgendeinem großen Laden in Burlington aufgekauft worden, üble Burschen. Die Dovers lagerten Heu im alten Haus der Batchelders, die Ballen füllten die Küche und das vordere Zimmer, lagen dicht an dicht auf der Treppe, drückten die Geländersprossen heraus. Er erinnerte sich an Jim Batchelder, als hätte er ihn gestern noch gesehen, das rissige Gesicht und die Rübennase, konnte ihn mit seiner dünnen Stimme mit den Pferden reden hören. Und die Vergangenheit drang auf ihn ein mit ihrem Geruch nach Pferden, Hafer und heißen Leinsamenumschlägen. Mit den Pferden verschwanden auch die Menschen.
    Aber wie sollte er da herauskommen? Dub und seine versoffene Stimme eine Last, Mernelle mit ihrem fortwährenden Geleier von einer idiotischen »Victoria-Dauerwelle« und daß sie ins Kino wollte, und Jewell, die nicht viel sagte, aber zeigte, was sie dachte, indem sie wegsah, wenn er ihr etwas zu sagen versuchte, den Kopf abrupt abwandte, als säße irgendwo eine Fliege darauf.
    Und jetzt das. Er konnte es nicht glauben, daß seine Kräfte nachließen. Seine Arme, seine knotigen Schenkel, die breiten Schultern waren unverändert, aber jedes Gelenk brannte. Die Arthritis. Sie hatte seine Mutter gekrümmt wie einen Reifen. Jahrelang hatte sie sich auf ihrem Stuhl gewunden, nach heißen Wärmflaschen gerufen, brühend heißen, so heiß wie möglich, um das innere Zerren zu lindern, das ihr das Rückgrat immer weiter krümmte, so wie Finger eine Weidenrute bogen. Und mit dem Bild seiner Mutter, die der Schmerz zu einem Reifen krümmte, kam ihm endlich die Erinnerung an das Schwein auf dem Stroh, das krampfhaft an seinem Bauch zerrte, bis die Darmschlingen herausfielen und im Dreck lagen, das auf seinen eigenen Eingeweiden herumtrat, ehe es aufs Stroh sank und immer noch die irren Augen rollte und sich abmühte, sich selbst zu beißen. Und jetzt diese Kuh, die schwankte und das Hinterbein hob, um an ihrer wunden Flanke zu kratzen und zu scharren: Mink hörte auf zu melken, stand auf und musterte das starre Auge, bemerkte den strähnigen Geifer.
    Jetzt hatte er nur noch einen oder zwei Tricks im Sack. Die gerissenen Tricks.
    »Du weißt, was wir tun müssen«, sagte er zu Dub.
    »Wir müssen mit dem verdammten Melken fertig werden, ich muß diese verdammten Kühe füttern«, erwiderte Dub mit gedämpfter Stimme aus dem Milchraum.
    »Nein. Ich meine wegen der Farm.«
    Der Wassereimer schwappte über, als Dub ihn aus dem Ausguß hob.
    »Verkaufen, meinst du? Wäre das Klügste, was du machen könntest. Ich an deiner Stelle hätt’ sie schon vor Jahren verkauft. So wie Ott, eine Farm mit Stromanschluß anschaffen. Bis hierher werden sie die Leitungen nie legen.«
    »Nein, nicht verkaufen. Kapierst du denn gar nichts? Weißt du denn nicht, was wir für eine Hypothek auf dem Ding haben, selbst wenn wir sie zum Höchstpreis verkaufen würden, den man für diese Größe kriegt, selbst wenn wir Strom hätten, könnten wir grade mal die Hypothek bezahlen und hätten nicht mehr genug, um uns ein Paar Ohrenschützer zu kaufen. Und Strom haben wir nicht. Selbst wenn die Farm perfekt wär’, hätt’s keinen Zweck. Das ist die nackte Wahrheit, bei Gott, und jetzt weißt du Bescheid. Wir holen nichts raus, wenn wir sie verkaufen. So ist kein Gewinn zu holen. Das ist kein Ausweg. Glaubst du, ich hab’ nicht daran gedacht, als der Mistkerl abgehauen ist? Wir würden nichts kriegen. Wie sollen denn deine Mutter und ich leben? Wir haben verdammt noch mal gar nichts.«
    »Die Kühe.«
    »Die Kühe. Die Kühe. Deswegen müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Und zwar schnell. Komm her, und ich zeig’ dir was. Dann wirst du verstehen, warum die Kühe keine Goldgrube sind. Vielleicht kriegst du’s dann in deinen dicken Schädel, daß wir soweit sind, daß wir uns was einfallen lassen müssen.«
    Er zeigte auf die Kuh, den vorgestreckten Kopf, den gereckten Hals, die Zunge, die an der wunden Flanke scheuerte. Ihr Auge hatte einen weißen Ring. Mink deutete auf die Kühe vor ihren Raufen. Dub stand mit dem Rücken zur Tür da und glotzte. Die Kuh brüllte und mühte sich ab, den Kopf durch die Raufe zu stecken.
    »Was zum Teufel ist mit ihnen?«
    »Ich glaube, es ist das Tolle Jucken. Sie haben das Tolle Jucken.«
    »Soll ich den Tierarzt holen?«
    »Du bist der blödeste Hund, der mir je

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