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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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untergekommen ist. Nein, du sollst den Tierarzt nicht holen. Du sollst die Flinte und fünf Kanister Kerosin holen.«

17
    Das Büro der Landwirtschaftlichen
Versicherungsgesellschaft Weeping Water

    Die Büros der Landwirtschaftlichen Versicherungsgesellschaft Weeping Water befanden sich in drei Räumen über der Enigma-Eisenwarenhandlung. Die Holzdielen knarrten auf unverkennbare Weise. Dampfheizkörper unter den Fenstern gaben eine fürchterliche Hitze ab, die die Angestellten schläfrig machte und ihnen an stürmischen Tagen Sicherheit verlieh.
    Inmitten von zweihundert Topfpflanzen saß im ersten Zimmer auf einem Kunstlederstuhl Mrs. Edna Carter Cutter, Sekretärin, Empfangsdame, Auskunft, Wachhund, Hausgärtnerin, Kaffeekocherin und Essensholerin, Buchhalterin, Wettervorhersage, Materialausgabe, Geldbotin, Postverteilung und Rechnungsprüfung. Die Pflanzen wucherten über alle Flächen, samtige Pflanzen, Kriechpflanzen, eine südpazifische Agave mit roten Blättern, Dutzende Usambaraveilchen, eine große schiefe Zimmertanne in einem Schmalzfaß, eine über einem Aktenschrank baumelnde Schamblume, eine Känguruhklimme über einem anderen, eine Zimmeraralie in einem Krug hinter der Tür, ein Bambusdickicht neben dem Schirmständer, ein Schwertfarn, der Riese der Sammlung, der seine Blätter über das Gestetner-Kopiergerät breitete. Die meisten Pflanzen hatte sie als Beileidsbezeigungen zum Tode ihres Sohnes Vernon erhalten, der in New York von einem betrunkenen Marinesoldaten mit einem gestohlenen Taxi überfahren worden war.
    Das Büro von Mr. Plute, dem Direktor, ging nach hinten hinaus und blickte auf einen alten Rinderpferch. Es war eingerichtet mit einem eichenen Schreibtisch, drei Stühlen, zwei eichenen Aktenschränken und einem eichenen Garderobenständer mit Messinghaken. In die obere Hälfte der Tür war eine Milchglasscheibe eingesetzt, durch die lediglich Plutes länglicher Schatten zu sehen war, wenn er vor dem Fenster auf und ab ging. Mrs. Cutters Schwertfarn stammte von ihm.
    Der andere Raum wurde von niedrigen Trennwänden in drei Kabinen unterteilt, wo die Außendienstler und Sachverständigen saßen, wenn sie im Büro waren. Zu jeder Kabine gehörten ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Aktenschrank, ein Telefon. Wenn ihre Benutzer aufstanden, konnten sie einander in die Augen blicken, aber wenn sie sich setzten, verschwanden sie bis auf die sich kringelnden Rauchfahnen oder das Aufblitzen weggeworfener Büroklammern.
    Perce Paypumps war der dienstälteste Mitarbeiter des Büros und länger dabei als Mr. Plute. Durch seine Angewohnheit, den Stuhl auf den hinteren Beinen zu balancieren, hatte er seit 1925 drei Eichenstühle verbraucht, er hatte die große Überschwemmung von 1927 erlebt, die epidemischen Farmbrände in den Dreißigern, war nach dem Hurrikan von 1938 kilometerweit durch verwüstete Landstriche marschiert und hatte Ansprüche wegen Verheerung und Zerstörung untersucht. War Plute nicht da, übernahm Perce die Verantwortung. Als der Erfahrenste verfügte er über das Urteilsvermögen, um Ansprüche regeln zu können.
    John Magool war lebenslustig und dick, ein ehemaliger Fallschirmjäger, der innerhalb weniger Wochen, nachdem er die Uniform ausgezogen hatte, aufgedunsen war, ein guter Redner, ein guter Zuhörer und ein guter Verkäufer. Drei Viertel der Zeit war er unterwegs. Wenn er ins Büro kam, um die Schreibtischarbeiten zu erledigen, fand er auf seinem Schreibtisch und auf seiner Hälfte des abgeteilten Fensterbretts für gewöhnlich Zimmerpflanzen vor. Er trug sie in Mrs. Cutters Büro und stand schweigend da, während ihm die Ranken über die Arme hingen.
    »Ach ja, die Pflanzen! Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen. Ich hab’ ihnen da drin bloß ein bißchen Sonne verschafft und dann vergessen, daß Sie diese Woche da sind. Sie haben morgens herrlichen Sonnenschein, John.«
    Der dritte Schreibtisch gehörte dem Sachverständigen Vic Bake, zweiundzwanzig, eifrig und aufgeweckt. Es war seine erste Stelle. Er hatte ein Gesicht wie eine Kelle voll Kartoffelbrei, einen schlaffen Körper und ein Talent, Verbindungen zu knüpfen. Ein angeboren schiefer Hals zwang ihn dazu, das Gesicht vorzustrecken und ein wenig zur Seite zu legen. Abgesehen von seiner Mißbildung vom Leben unbeleckt, unterteilte er alle menschlichen Taten in Beihilfe und Nächstenliebe. Unbestechlich, als Jugendlicher ein Klatschmaul, Musterschüler, Sammler von Fleißsternchen, strebte er jetzt nach einer

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