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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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an.
    »Ich muß fort«, erwiderte Loyal, »ich muß. Nach Oregon oder Montana - irgendwohin.«
    »Charlie, leg die Platte noch mal auf«, sagte Dub, »zu der tanzen alle so gern.« Der Rauch strömte ihm aus der Nase.
    Jewell legte die Hände an die Wangen und zog sie nach unten, so daß ihr Gesicht gespannt wurde und das gerötete Innere ihrer Lider hinter der Brille zum Vorschein kam. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Was ist mit dem Essen am Samstag abend, mit der großen Gulaschkanone wie bei der Armee? Ich hab’ fest damit gerechnet, daß du mich am Samstag morgen zur Kirche fährst. Solange könnt ihr doch noch bleiben. Billy war doch immer dabei, hat’ne Kochmütze aufgesetzt und Essen ausgegeben. Das läßt sie sich doch nicht entgehen.«
    »Billy will, daß wir heute noch fahren. Sie hat ihre Gründe. Hat keinen Zweck, drüber zu reden. Ich geh’ jetzt.« Erregt beugte er sich zu ihnen vor; die schwarze Behaarung im Hemdausschnitt, wo bläulichweiße Haut zu sehen war, kräuselte sich.
    »Herrgott, jetzt wird mir alles klar. Du hast ihr einen dicken Bauch gemacht. Sie will verduften, damit keiner was merkt. Für Kerle wie dich, die sich durch die eigene Geilheit die Schlinge um den Hals legen, gibt’s ein Wort«, nölte die Stimme weiter. »Aber das will ich vor deiner Mutter und deiner Schwester nicht aussprechen.«
    »Mensch, Loyal, wenn du gehst«, sagte Dub, »dann gibst du der Farm den Rest.«
    »Ich hab’ zwar geahnt, daß ich die Kacke zum Dampfen bringe, aber so schlimm hab’ ich’s mir nicht vorgestellt. Kapiert ihr’s immer noch nicht? Ich hau’ ab.«
    Er lief in das Dachzimmer hinauf, das er mit Dub teilte, weg vom Schinken auf seinem Teller, weg von seinem Stuhl, der vom Tisch abgerückt stand, weg vom Spiegel voller Fliegendreck, der Mernelles Gesicht reflektierte. Er zerrte den alten Koffer hervor, öffnete ihn und warf ihn aufs Bett. Und stand einen langen Augenblick da mit den zusammengerafften Hemden in den Händen, während der Koffer ihm wie ein Schrei entgegenklaffte. Unten kam Mink in Fahrt und brüllte jetzt, etwas knallte und klapperte - die Tür zur Speisekammer. Loyal ließ die Hemden in den Koffer fallen, und später schien ihm, daß dies der Augenblick war, in dem sich alles veränderte, in dem sein Lebensweg von der Hauptstrecke abzweigte: nicht als Billy unter seiner blindwütigen Brunft zusammenbrach, sondern als die Hemden in ihrer baumwollenen Schlaffheit zusammenfielen.
    In einem Stiefel im Schrank fand er Dubs Flasche, drehte den Verschluß fest zu und warf sie in den Koffer, durch dessen Schnalle er den steifen Riemen zog, während er die Treppe hinunterstieg, Mink hämmern hörte, den Dreckskerl die Küchentür zunageln sah. Damit er nicht hinauskonnte.
    In Sekundenschnelle hatte er den Raum durchquert. Er trat das Fenster ein und stieg über das knirschende Glas auf die Veranda, weg von allem, der Fallenstellerei, den zottigen kleinen Jerseys, den zwei Holsteinern mit ihren schweren, fleischfarbenen Eutern, Dubs öligen Lumpen, dem Geruch nach Alteisen hinten in der Scheune, der Mauer oben am Wald. Dieser Teil des Ganzen war vorbei. Im Nu vorbei.
    Auf der Straße zur Stadt dachte er, was für ein schlechter Witz alles war. Billy, die dauernd genörgelt hatte, weil sie wegwollte, rauswollte, neu anfangen wollte, blieb auf der Farm. Er, der nie über die Farm hinausgedacht hatte, nie etwas anderes als die Farm gewollt hatte, war unterwegs. Hielt das Lenkrad umklammert.
    Etwas piekste in seinem Rücken; er tastete nach hinten und bekam Mernelles Okarina zu fassen; das Bakelit mit dem modischen Muster war durch das Herumstoßen auf dem Boden zerschrammt. An den Seiten waren Abziehbilder von Eseln, die Körbe mit Kakteen trugen. Er wollte das Fenster herunterkurbeln, um das Instrument hinauszuwerfen, aber es schloß sich von allein, als es einen Spaltbreit offen war, und er warf die Okarina auf den Rücksitz.
    Es herrschte Dämmerung, doch in der Senke, wo die Wiesen die Bäume wegdrängten, hielt er an, um sich ein letztes Mal umzusehen. Unterdrückte dabei die flüchtigen Blitzer dessen, was geschehen war. Geschehen und vollbracht.
    Die Stelle war so unbewegt wie eine Fotopostkarte; Haus und Stall wie dunkle Schiffe auf einem Ozean aus Wiesen, der Himmel eine Membran, die das letzte Licht hielt, die dunstigen Küchenfenster und oben hinter den Gebäuden die fette, fast einen Hektar große Weide, nach Süden offen wie eine aufgeschlagene Bibel, der Einschnitt der

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