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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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immerhin bescheidenen Erfolg gehabt. Aber der Tag wird kommen, wenn er nicht schon da ist, an dem es keinen Platz mehr für den Amateurastronomen geben wird, außer auf Hinterhofgrillpartys, wenn er auf den Mond zeigt oder neidisch den Erfolgen der technisch gut Ausgestatteten applaudiert. Das klingt nach sauren Trauben? Nein.
    Nichts hat mich von einer akademischen Laufbahn abgehalten. Außer vielleicht die Depression, der Krieg und mein kleines Hobby. Aber das ist schon’ne Weile her. Diesem kleinen Hobby frön’ ich jetzt schon lange. Ich war sogar an der Uni, aber die Vereinskungelei war ätzend wie Säure. Weißt du, was ich meine? Diejenigen, die Golf spielen. Und natürlich hab’ ich damals schon gesoffen. Das Schulterklopfen war mir verhaßt, die Gefälligkeiten für Freunde, die mörderischen Fehden und die Hinterfotzigkeit unter dunklen Eichenholzdekken. Dann war ich fünf Jahre bei der Marine, wo es natürlich nichts dergleichen gibt. Die heilige Marine! Als ich rauskam, war ich bereit für was Neues und hab’ Vernita geheiratet, war durchaus bereit, den Ehemann und Vater zu spielen. Beides keine Starrollen für mich. Was mich gerettet oder ruiniert hat, das war eine Erbschaft. Die erlaubt mir, so zu sein, wie ich eigentlich bin, ein grantiger Alkoholiker, der ab und zu lichte Momente hat, in denen er tiefe Einblicke in die Funktionsweise der Dinge gewinnt, die Himmelsuhren, das kleinliche Gezeter von Männern und Frauen.« Der rote Mund bewegte sich um die Wörter herum, das Gehirn schauderte im Schädel.
    »Loyal, mein Freund. Wir kommen miteinander aus, wir beide. Wir geben ein verdammt gutes Observatorium ab.« Die Hand goß ein, das Gesicht rissig im eigelben Licht. Der Schatten der Tür zeigte ins Zimmer, das Zimmer fiel in ein dunkles Loch.
    »Wir verlieren den Himmel, haben ihn schon verloren. Der größte Teil der Welt sieht da oben nichts außer der Sonne, die bequemerweise so steht, daß sie für Krebsbräune und gutes Wetter zum Golfspielen sorgt. Die blöden Holzköpfe wissen nichts von der Magellan-Wolke. Sie haben keine Ahnung vom Pferdekopfnebel, den Saturnringen, die aussehen wie Metallreifen um den Hals einer Prinzessin aus Benin, den riesigen schwarzen Löchern aus implodierter Materie, wie Abflußlöcher im fernen Weltraum, vom pochenden Licht von Pulsaren, den zu Atomen zerfallenden Sonnen, von unglaublich schweren Sternenzwergen, roten Riesen, sich entfaltenden Galaxien. Ich rede nicht von den chauvinistischen Busfahrten zum Mond oder den Hündchen, die zwischen Planetenresten in schwerelosen Kapseln wau-wau machen, den kleinlichen und kostspieligen Ohrfeigen der Puddingmächte. Denk mal drüber nach, Loyal, Nationen als Puddings. Nein, das Studium des Weltraums entfaltet die seltsamsten und exotischsten Wirklichkeiten, die sich der menschliche Geist überhaupt nur vorstellen kann. Im Weltraum scheint nichts unmöglich. Nichts ist unmöglich. In dieser nichtmenschlichen Leere ist alles seltsam und wunderbar. Darum suchen Astronomen ausschließlich die Gesellschaft von ihresgleichen, denn keiner sieht die Geheimnisse so, wie sie sie sehen. Grausig ist ihre Freude über explodierende Sterne, den galaktischen Tod. Sie wissen, daß das schwache Licht eines Sterns, das gefiltert durch unseren dreckigen, verschmutzten Himmel kommt, bis zu diesem Augenblick tausend Jahre unterwegs war.«
    »Often at night, when the heavens are bright«, dachte Loyal, aber er hörte zu.
    »Schau zum Himmel hinauf, und du schaust in die Zeit, und nichts, was du siehst, ist jetzt - es ist alles so weit weg und alt, daß der menschliche Geist jammert und schaudert, wenn es näher kommt. Hör zu, Aussterben ist das Los aller Arten, einschließlich unserer. Aber bevor wir verschwinden, erwischen wir vielleicht einen kurzen Blick auf ein blendendes Licht. Ich hab’ gespürt - ich hab’ gespürt...« Und er brach ab. Die elektrisierende Stimme zog sich in sich selbst zurück, wurde zu einem Flüstern.
    »Und ich will dir noch was sagen. Du hast was Kaputtes. Du hast was echt Fertiges. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich kann’s riechen. Du neigst zu Unfällen. Du erleidest Verluste. Du bist weit aus der Bahn geworfen. Du strampelst dich ab, kommst aber nicht vom Fleck. Ich glaube, du hast’s nicht leicht.« Er sah Loyal an. Die alten schwarzen Augen sahen Loyal an. Winzige gelbe Vierecke, Spiegelungen der offenen Tür, luden ihn ein, einzutreten. Loyal holte tief Luft, atmete aus. Fing an zu reden, hielt

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