Power and Terror
hätte aber erst im Mai Zeit für ein längeres Interview. Bis dahin habe er mehrere Reisen geplant: zum Weltsozialforum nach Porto Alegre in Brasilien, in die Türkei, um für seinen dortigen Verleger vor Gericht auszusagen, und nach Kolumbien. Zudem halte er sich im März eine Woche lang in Kalifornien auf. Wir könnten ihn begleiten und bei seinen öffentlichen Auftritten filmen.
Wir entschieden uns für Kalifornien. Chomsky war von der Universität in Berkeley zu zwei linguistischen Vorträgen anläßlich einer jährlich stattfindenden Vorlesungsreihe eingeladen worden. Während seines fünftägigen Aufenthalts in der Bay Area hielt Chomsky in der Universität Sprechstunden ab, traf sich mit Studenten und Fakultätsmitgliedern und nutzte seine »Freizeit« zu fünf Vorträgen über verschiedene politische Themen (von denen wir drei filmten). Zu diesen Vorträgen kamen insgesamt mehr als fünftausend Zuhörer.
Am Freitag schließlich, in Palo Alto, war Chomsky völlig erschöpft und seine Stimme heiser. Aber als er im Ballsaal eines Hotels vor eintausend intensiv lauschenden Menschen mit seinem Vortrag begann, kam er noch einmal so richtig in Schwung. Er sprach mit zunehmender Eindringlichkeit über die Gefahr der Weltraumbewaffnung und antwortete auf besorgte Fragen aus dem Publikum mit bisweilen zehnminütigen
Beiträgen, die selbst schon wieder kleine Reden waren.
Danach verbrachte Chomsky noch eine Dreiviertelstunde in einer Diskussionsrunde von fünfundzwanzig Personen, stellte sich weiterhin geduldig den Fragen und signierte Bücher, bis er einen Krampf in der Hand bekam. »Jetzt kann ich nicht einmal mehr schreiben«, lachte er.
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Was mich an Chomsky in diesen Tagen, da ich ihn begleitete, besonders beeindruckte, war seine Bescheidenheit und Groß-
zügigkeit. Er sieht sich nicht als jemand, der den gesellschaftlichen Wandel bewirkt, sondern ihn zu ermöglichen sucht, indem er sein Publikum mit Informationen und Analysen, den Ergebnissen seiner Forschung, vertraut macht. Wiederholt betonte er, daß es gelte, Entscheidungen zu treffen und daß jedes Individuum die Wahl hat, nach moralischen Prinzipien zu handeln und die Mächtigen zu zwingen, sich entsprechend zu verhalten.
Ebenso beeindruckte mich sein Optimismus. Trotz seiner oftmals deprimierenden Untersuchung der amerikanischen Macht und ihres Mißbrauchs war er glänzender Stimmung und blickte hoffnungsvoll in die Zukunft. Die meisten Vorträge schloß er mit dem Hinweis darauf, wieviel die sozialen Bewegungen in den letzten Jahrzehnten erreicht hätten und daß der gesellschaftliche Wandel auch weiterhin in Reichweite liege.
Der japanische Philosoph und Aktivist Tsurumi Shunsuke, der die japanische Ausgabe dieses Buchs editorisch betreut hat, schreibt Chomskys Optimismus dessen Beschäftigung mit der Linguistik zu, die einen umfassenden Blick auf die lange Geschichte der Sprachentwicklung ermögliche. »Vor dem Hintergrund dieser Geschichte müssen das gegenwärtige und das nächste Jahr als sehr kleiner Zeitraum erscheinen. Chomsky lebt in der Gegenwart und vertraut auf die unabsehbare weitere Aktivität der Menschen zur Umgestaltung der Verhältnisse –
daher rührt seine Fröhlichkeit.«
Chomskys Werk konfrontiert jeden von uns mit der Frage und der Herausforderung: Ist Optimismus angesichts von
Splitterbomben und Hurra-Patriotismus gerechtfertigt? Die Antwort, so betont er immer wieder, hängt zum großen Teil davon ab, was Menschen wie Sie und ich zu tun bereit sind.
John Junkerman, Tokio, Januar 2003
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I. INTERVIEW MIT JOHN
JUNKERMAN ZUM FILM »POWER
AND TERROR«
Wie haben Sie am 11. September 2001 von dem Attentat erfahren?
Von einem Arbeiter, den ich kenne und der hier in der Gegend
[in Cambridge, Mass.] tätig ist. Er kam zufällig vorbei und sagte mir, er habe es im Fernsehen gesehen.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich machte das Radio an, um herauszubekommen, was
eigentlich vorgefallen war. Offenkundig eine schreckliche Greueltat. Ich reagierte jedoch so, wie viele andere Menschen überall auf der Welt. Eine Greueltat, aber außergewöhnlich nur für Europäer, Nordamerikaner oder Japaner. Nichts Neues, wenn man bedenkt, wie die imperialen Mächte in Hunderten von Jahren mit dem Rest der Welt verfahren sind. Der Angriff
[auf das World Trade Center] ist ein historisches Ereignis, unglücklicherweise jedoch nicht wegen seines Umfangs oder seiner Eigenart, sondern wenn man bedenkt, wer die Opfer waren.
In ihrer
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