Power and Terror
ist wie immer. Die Verbrechen, die man anderswo begeht, existieren einfach nicht. Und man kann sie verdrängen, über Hunderte von Jahren. Nehmen wir die Vereinigten Staaten. Warum sitze ich hier? Weil einige religiös-fundamentalistische Fanatiker aus England hierher kamen und anfingen, die einheimische Bevölkerung auszurotten. Ihnen folgten viele andere, die dann den Rest der Eingeborenen erledigten. Das war keine
geringfügige Angelegenheit; es handelte sich um Millionen von Menschen.
Und die Leute damals wußten, was sie taten. Sie hatten keine Skrupel. Was sie taten, kam ihnen nicht fragwürdig vor. Das ging so über Hunderte von Jahren, und niemand hat sich Gedanken darum gemacht. Erst der Einfluß der
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Bürgerrechtsbewegungen in den sechziger Jahre führte zu einem Bewußtseinswandel. Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte dachten die Menschen über die Frage nach, was wir den Indianern angetan haben. Als ich ein kleiner Junge war, spielten wir Cowboy und Indianer. Wir waren die Cowboys und töteten die Indianer. Wir haben darüber nicht weiter nachgedacht. Meine Kinder haben das allerdings nicht mehr gespielt.
Kommen wir noch einmal auf Japan zurück. Was denken Sie über die Beteiligung der japanischen Regierung an der militärischen Operation in Afghanistan?
Fast jede Regierung hat sich darum gerissen, sich dem Bündnis anschließen zu können, und alle hatten ihre besonderen Gründe.
Rußland wollte seine Aktivitäten im grausamen Krieg gegen Tschetschenien verstärken. Peking freute sich über die US-amerikanische Unterstützung für die Repression in Westchina.
Und auch Algerien, einer der schlimmsten Terrorstaaten der Welt, war dem »Bündnis gegen den Terror« willkommen.
Am meisten aber, auch über das Verhalten westlicher
Intellektueller, lernen wir aus dem Fall Türkei. Bezahlt von den USA rücken türkische Truppen auf Kabul vor, sind vielleicht schon dort, um den »Krieg gegen den Terror« zu führen. Die Türkei war das erste Land, das seine Unterstützung angeboten hat. Warum? Die Regierung hat es erklärt: aus Dankbarkeit.
Immerhin waren die USA als einziges Land bereit, die terroristischen Greueltaten der Türkei in Ost-Anatolien massiv zu unterstützen.
Das ist nicht vergangen und abgetan; es geht weiter. Die Türkei hat in den neunziger Jahre schlimmste Verbrechen begangen, schlimmer als alles, was man Slobodan Milosevic an Untaten im Kosovo vorwirft, die noch vor den Bombardements 11
durch die NATO exekutiert wurden.
Die Türkei ging in Ost-Anatolien gegen die Kurden vor, die etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Millionen wurden vertrieben, Tausende von Dörfern zerstört, Zehntausende Kurden getötet. Barbarische Folter war an der Tagesordnung.
Clinton lieferte dafür die Waffen. Neben Israel und Ägypten wurde die Türkei zum weltweit führenden Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe, die den Staatsterror gegen die Kurden ermöglichte. Im Gegenzug beteiligt sich die Türkei jetzt am »Krieg gegen den Terror«. Die westlichen Intellektuellen aber schauen zu und schweigen – ein beeindruckendes Zeugnis für die Selbstdisziplin der Gebildeten.
Weit vor dem 11. September, nämlich 1999, feierte die NATO
nicht nur ihr fünfzigjähriges Bestehen, sondern bombardierte zugleich Serbien. Ist es nicht schrecklich? hieß es damals. Wie können wir Greueltaten unmittelbar jenseits der NATO-Grenzen dulden? Kein Wort darüber, daß man vergleichbare Greueltaten sehr wohl innerhalb der NATO-Grenzen nicht nur dulden, sondern auch massiv unterstützen konnte.
Während die Vereinigten Staaten eben dazu ihren Beitrag leisteten, trafen sich zur gleichen Zeit die führenden Politiker der westlichen Welt in Washington und beglückwünschten sich zu den Bombardements, die – eine nachweislich falsche Behauptung – »die Greueltaten verhindern sollten«. In den Medien: kein Kommentar. Wer, wie etwa ich, etwas darüber schrieb, wurde als Apologet serbischer Verbrechen abge-stempelt.
Auch darin zeigt sich die erstaunliche Selbstdisziplin des Westens, von der ein totalitärer Staat nur träumen kann. Ich weiß nicht, ob man das in Japan bemerkt, aber es ist eine höchst auffällige Tatsache.
Heute nachmittag hatte ich einer großen deutschen Zeitschrift ein Interview gegeben. Ich wies die Journalisten auf die 12
erwähnten Fakten hin und sagte ihnen auch (was sie eigentlich wissen müßten), daß Deutschland nach den USA der
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