Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)
der Stadt. Er besaß einen Block Vorsprung vor dem ersten Streifenwagen, der ihn mit heulender Sirene verfolgte. Er lenkte den Mercedes durch den fließenden Verkehr, überholte, fädelte sich wieder ein und schlängelte auf die Gegenfahrbahn, wobei er erfolglos versuchte, Distanz zwischen sich und den Streifenwagen zu bringen.
An der nächsten Ecke scherte er plötzlich links aus. Einen ganzen Block lang hatte er freie Bahn. Er drehte sich um und sah nach der Frau, während der Wagen weiter geradeaus sauste. Mit dem rechten Arm fasste Dewey nach hinten und griff die Hand der jungen Attentäterin. Eine kleine, kalte Hand. Er bemerkte, dass ihre Lider zu flackern begannen, als der Tod immer näher rückte. An diesem Punkt konnte er ihr nicht mehr mit Gewalt entlocken, was er hören wollte. Es gab nur noch eine Möglichkeit, ans Ziel zu gelangen: Dewey hielt ihre Hand, tröstete die Frau, die sie geschickt hatten, um ihn umzulegen.
Die Frau auf dem Rücksitz starrte Dewey in die Augen und versuchte erneut, ihre Lippen zu bewegen. Vor lauter Anstrengung quoll Blut aus ihrem sonnengebräunten Hals, floss dunkelrot über einen silbernen Anhänger, den sie an einer Kette trug. Verzweifelt versuchte sie, etwas zu sagen, leise zunächst, dann lauter, bis Dewey es schließlich verstand.
»Padre«, rief sie. »Me perdóne por la vida que he vivido.«
Sie betete. Mit belegter Stimme und einer Kehle, die sich allmählich mit Blut füllte, betete sie und bat um Vergebung. Aber es waren nicht ihre Worte, die etwas in Deweys Erinnerung zum Klingen brachten, sondern vielmehr die Art und Weise, wie sie sie aussprach. Darin erkannte er etwas wieder. Es war die gestelzte, kurze, harte Aussprache des Wortes perdóne. Der eigenartige spanische Akzent erinnerte ihn an etwas, das lange zurücklag. Noriega. Die endlosen Wochen in der drückend heißen, schmutzigen Stadt, als sie nur auf den Befehl gewartet hatten, endlich vorzurücken und den Diktator zu töten. Er würde nie vergessen, wie die Einheimischen sprachen.
Panama.
24
FORTUNAS APARTMENT
Fortuna ließ den Fernseher im Schlafzimmer nicht aus den Augen. Er hatte auf Fox News geschaltet, obwohl alle Sender die Meldung brachten. Fox zeigte einen Split-Screen mit Live-Bildern vom Capitana-Ölfeld auf der linken und einer unheimlich anmutenden, nächtlichen Szene von Marksʼ noch immer brennenden Skihütte in Aspen auf der rechten Seite. Minutenlang starrte Fortuna bei abgedrehtem Ton auf den Bildschirm. Die Einspielung aus Aspen wurde ausgeblendet. Ihren Platz übernahm der zerstörte Staudamm von Savage Island.
Die Schlagzeile am oberen Bildschirmrand lautete: ANGRIFF AUF AMERIKA.
In der Hand hielt Fortuna ein schmales grünes Buch, in dessen Ledereinband arabische Schriftzeichen eingeprägt waren. Er schlug es auf und holte ein kleines Foto heraus. Eine Farbaufnahme von Esco und ihm, aufgenommen in einem Lager auf der Krim.
Escos Tod schmerzte Fortuna mehr, als er je erwartet hätte. Wenn man sich mit jemandem ein Jahr lang ein Zelt teilte, wenn man gemeinsam strategisches Planen, Kämpfen und Töten lernte, wenn einen so vieles miteinander verband, entstand eine tiefere Form von Zusammengehörigkeit.
Weitaus größer war jedoch Fortunas Angst, was Esco Dewey Andreas alles gesagt haben konnte. Esco wusste alles. Das machte Fortuna wirklich Sorgen. Zwar hatte man sie beide darin ausgebildet, sich einem Verhör zu widersetzen, aber Fortuna wusste, dass sich letztlich immer derjenige, der die Folter vornahm, durchsetzte. Und ein Ex-Delta gelangte wahrscheinlich schneller zum Ziel als viele andere.
Im Fall seiner Folterung hatte Esco womöglich die ganze Bandbreite von Fortunas Plan enthüllt oder sogar noch eine Fährte gelegt, die sich bis zu ihm, Fortuna, zurückverfolgen ließ.
Fortuna schob das Foto wieder zwischen die Seiten und stellte das Buch ins Regal. Er schaltete den Fernseher aus.
Es war fast 21 Uhr. Eigentlich müsste Dewey Andreas mittlerweile tot sein, umgelegt auf Geheiß von Vic Buck. Aber Fortuna hatte keine Ahnung, wann Buck Zeit fand, ihn anzurufen, um ihn auf dem Laufenden zu halten.
Er ging ins Badezimmer und duschte, zog sich ein neues Paar Jeans und leichte Halbschuhe an, dazu ein schlichtes weißes Hemd. Darüber zog er einen grauen Sweater und ging durch den Flur zum Aufzug.
»Sag Jean, er soll den Wagen vorfahren«, bat er Karim.
»Du gehst noch weg? Was ist mit dem Abendessen?«
»Ich komme später zurück. Verfolg die Nachrichten und nimm
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