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Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)

Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)

Titel: Power Down - Zielscheibe USA (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Coes
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noch mehr als 10.000 US-Dollar, für die Zollbeamtin mindestens ein Jahresgehalt. Es war sein gesamtes Bargeld. 1000 Dollar steckte er zurück, die restlichen Scheine legte er gefaltet in seinen Reisepass und reichte ihn der Beamtin, die ihn mit ausdrucksloser Miene musterte. Sie schlug das Dokument auf, entdeckte das Geld und sah zu Dewey auf. Einen Sekundenbruchteil lang schaute sie ihm in die Augen. Reglos erwiderte er ihren Blick. Dabei wurde ihm klar, dass er sein Schicksal, sein Leben, soeben in ihre Hände gelegt hatte, in die Hände der strengen Regierungsangestellten vor ihm. Als er merkte, dass sie an ihm vorbeischaute, folgte er ihrem Blick. Hinter der Schlange vor dem Schalter trieben sich nicht weniger als sechs Polizisten in der Vorhalle herum und suchten systematisch alle Gates ab.
    Ihr Blick kehrte zu Dewey zurück. Seine Augen wanderten in Richtung Ausweis-Scanner. Sie folgte ihnen und sah ihn wieder an. Rasch schüttelte er fast unmerklich den Kopf, um die Frau wissen zu lassen, was er wollte. Zieh ihn nicht durch dieses Ding, dachte er. Die Frau zögerte einen Moment. Dann bewegte sie den Ausweis in Richtung Leseeinheit. Dewey spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Doch ihr Arm schwenkte den Ausweis am Scanner vorbei, seitlich am Körper entlang, wo sie unauffällig das Geld herausnahm. Sie reichte ihm seinen Pass.
    »Viel Vergnügen in Havanna, Señor«, flüsterte sie.

30
    CONTAINERUMSCHLAGPLATZ UND STÜCKGUTLAGER
    HAFEN VON LONG BEACH, KALIFORNIEN
    Im abseits der Lagerhalle gelegenen Waschraum beugte Neqq sich näher zum Spiegel und begutachtete seine Augen. Blutunterlaufen. Letzte Nacht hatte er kaum schlafen können. Sie waren ihm auf die Schliche gekommen. Das spürte er. Sie wussten etwas.
    Neqq fühlte sich einsam, und zwar aus gutem Grund.
    Seit nunmehr fünf Jahren lebte er zurückgezogen in einem sechsgeschossigen Mietshaus am Stadtrand von Long Beach. Jamrud fehlte ihm. Mama und Papa ebenfalls, Vishna al-Katar, sein Lehrer an der Islamschule – der Madrasa, das Essen, Bhindi Gosht mit kalter grüner Soße ...
    Und jetzt, wo er Gefahr lief, entdeckt zu werden, mit wem konnte er da noch reden? Die Antwort lautete: mit niemandem. Er war völlig allein. Es stellte sich nicht die Frage, ob, sondern vielmehr wann sie ihn erwischten. Sollte er jetzt die Bombe zünden und sich selbst in die Luft jagen, wie sie es ihm aufgetragen hatten, für den Fall, dass man ihm auf die Spur kam? Sollte er sich aufhängen und damit zu einem weiteren unbekannten Selbstmörder werden; einem Einwanderer, der vom Deckenbalken baumelte? So hatte man es ihnen beigebracht: Fliehe nicht. Begehe Selbstmord. Dann bist du trotz allem immer noch ein Märtyrer. Zu fliehen bedeutet, dass sie dich schnappen, Schuld einzugestehen. Es darf nicht den geringsten Verdacht geben.
    Neqq wusste, dass er einer Elitegruppe angehörte. Er wusste auch, wie ihr Anführer hieß. Er war eine Legende, ein Held. Eigentlich durfte er den Namen gar nicht kennen. Aber er kannte ihn: Alexander.
    Neqq hatte keine Ahnung, wie viele andere es insgesamt noch gab, die aus der Madrasa kamen, aber allein seine Klasse hatte aus sechs Männern bestanden. Sie wussten nicht, weshalb der Imam sie ausgewählt hatte. Er hielt sich gewiss nicht für den Allerklügsten und es gab Gläubigere als ihn. Aber er beklagte sich nie, stellte nie etwas infrage. All die Jahre hatte er viel darüber nachgedacht: Warum gerade er? Weshalb war Barush, sein bester Freund, außen vor geblieben? Die anderen, die man zusammen mit ihm ausgewählt hatte? Es waren die Ruhigen gewesen. Diejenigen, die nicht widersprachen und sich nicht beklagten, wenn es mal kein Abendessen gab, weil der Imam kein Geld hatte, um Essen zu kaufen. Sie hatten sich noch nicht einmal von ihren Eltern verabschieden dürfen. Das tat wohl am meisten weh.
    Von der Madrasa aus waren sie im Konvoi nach Islamabad gefahren und hatten dort ein mit russischen Schriftzeichen beklebtes Flugzeug nach Kenia genommen. Zum ersten Mal in seinem Leben flog Neqq. Von der abgelegenen Landebahn in Kenia aus ging es mit einem gelben Bus vier, fünf Stunden lang durch die Wüste. Dort erstreckte sich das schlichte, riesige Camp in alle Richtungen, so weit das Auge reichte. Zelte. Ein Hindernisparcours. Das Ratata des Schießstands auf dem Hügel. Es trug den Namen Al Yassa, das Feuer.
    An einem langen, überhängenden Felsblock, der ihnen Schutz bot, schlugen sie ihre Zelte auf. Jeden Tag wurde Unterricht abgehalten.

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