Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)
Gedanken begann er beinahe zu weinen.
Er stand am Rand des Gebäudes und starrte vor sich hin. Vor sich konnte er elf Greifstapler sehen, deren Motoren grollend zum Leben erwachten, als er und die anderen Fahrer sich für ihre Schicht bereit machten. Zu seiner Linken die Lagerhalle – gefüllt, so weit das Auge reichte.
Auf der anderen Seite beobachtete er durch die Türen des sechsstöckigen Lagerhauses, wie ein riesiges Containerschiff in den Hafen einfuhr. Am Bug konnte er ein paar Leute von der Mannschaft ausmachen.
Er trat an die Kante des Docks und postierte sich neben einem der gewaltigen Stahlpoller. Einer der Männer, ein Asiate, winkte ihm zu. Neqq winkte zurück. Manchmal träumte er davon, an Bord eines der Containerschiffe zu klettern und zu einem Abenteuer aufzubrechen, die Unvermeidlichkeit des Ganzen einfach hinter sich zu lassen. Doch dann fiel ihm wieder ein, welchen Platz er einnahm. Welche Pflicht er zu erfüllen hatte. Dschihad.
Hinter dem Schiff breitete sich das Meer aus. Es fing gerade an, im Schein der Morgensonne zu glänzen. Wie lange konnte er noch auf diesen Ozean hinausblicken? Wann drückte Alexander den Knopf, um all dies einfach verschwinden zu lassen?
»Was gibtʼs da zu gucken?«, fragte Mr. Sargent.
»Das Schiff, Sir«, sagte Neqq. »Ich finde es immer wieder erstaunlich.«
»Aus welchem Land kommen Sie?«, fragte Mr. Sargent.
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt, Sir. Aus Kanada. Ich komme aus Montreal. Das haben Sie mich schon mal gefragt.«
»Kanada«, brummte Mr. Sargent, während er Neqq musterte. Neqq begann, sich unwohl zu fühlen. Er spürte, wie ihm der kalte Schweiß in die Achselhöhlen trat. »O Canada«, sang Mr. Sargent und ließ Neqq nicht aus den Augen. »We stand on guard for thee – O Kanada, wir halten Wacht für dich.«
Neqq grinste nervös.
»Machen Sie sich wieder an die Arbeit. Wir müssen Container abladen.«
Mit raschen Schritten ging Neqq zurück zu Greifstapler Nummer sechs und kletterte in die Kabine. Er fand seinen Schutzhelm, holte den silbrig glänzenden Schlüssel hinter der Sonnenblende hervor, steckte ihn ins Zündschloss, drückte den kleinen roten Knopf neben dem Schalthebel und spürte, wie die schwere Millionen-Dollar-Maschine ansprang.
Es muss bald passieren, dachte er. Wenn Mr. Sargent seinen Spind durchsuchte, ihn wirklich auseinandernahm, dann war er geliefert. Dann sperrten sie ihn bestimmt ein, verhörten ihn. Konnte er die Folter überstehen? Sollte er heute Abend Selbstmord begehen?
Seine Gedanken überschlugen sich, während er den Gang einlegte. Er wartete schon so lange darauf. Jetzt wurde es Zeit. Er tat, was er in solchen Augenblicken immer machte: Er sagte die Scharia auf. Allmählich gelang es ihm, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Er lenkte die gewaltige Maschine durch das Portal der Lagerhalle auf das Containerfeld hinaus.
31
FORTUNAS LANDSITZ
FURTHER LANE
EAST HAMPTON, NEW YORK
Auf der Route 27 durch Long Island kitzelte Fortuna den Motor des schwarzen Aston Martin Vanquish S bis zum Anschlag hoch. Er hatte Manhattan erst zu später Stunde verlassen und so das Gros des Verkehrs in Richtung Hamptons vermieden. Es war fast 21 Uhr. Er hätte zu den Chelsea Piers fahren und den Helikopter nehmen können, um zu seinem Anwesen zu gelangen, aber er nahm lieber den Wagen. Die zweistündige Fahrt gab ihm die Gelegenheit, den Kopf freizubekommen.
Dewey Andreas fraß an ihm wie ein Krebsgeschwür. Er konnte machen, was er wollte. Mit jeder Stunde, die verging, wuchs der Gedanke an den Überlebenden, an den Mann, der Esco getötet und zuvor wahrscheinlich auch verhört hatte, wie ein Tumor in ihm. Buck hatte immer noch nicht angerufen. Kein gutes Zeichen. Frustriert hatte Fortuna seinerseits versucht, Buck zu erreichen, und zwar bereits mehrmals, aber noch immer kein Rückruf. Fortuna hämmerte mit der Faust auf das dunkle Holz des Lenkrads.
Auf den letzten Kilometern zu seinem Anwesen hüllte sich die Straße bereits in finstere Schwärze. Ein neuerlicher Schneesturm überzog die Fahrbahn auf beiden Seiten mit einer weißen Schicht. Wahrscheinlich fuhr er zu schnell für die Witterungsverhältnisse. Eine vereiste Stelle, und der 280.000-Dollar-Wagen landete in einer Schneewehe oder an einem Baum. Bei Tempo 130, zumal ohne Sicherheitsgurt, endete das tödlich. Doch Fortuna fiel es schwer, vorsichtig zu sein. Er mochte die Geschwindigkeit. Er preschte durch Southampton, Water Mill und Bridgehampton. Die
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