Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)
Mischung aus dem Salz des Meerwassers direkt hinter der Pforte der Lagerhalle und dem Öl, das die großen Containerschiffe hin und wieder verloren.
Vielleicht sind sie mir ja doch nicht auf der Spur, dachte er, während er durch die Lagerhalle ging, an den gestapelten Paletten mit Frachtgut vorbei – Papierrollen, Bauholz, alles Erdenkliche, das in China produziert werden konnte –, und zur Decke mehr als sechs Stockwerke über ihm hinaufblickte. Ich mache mich selbst verrückt. Bilde mir alles bloß ein.
Trotzdem starrte Mr. Sargent ihn unentwegt an. Mr. Sargent war der Geschäftsführer des Umschlagplatzes, der gewaltigen Union-Pacific-Lagerhalle, des Docks und des Containerlagers. Hier übernahm Amerikas größte Eisenbahngesellschaft fürs Landesinnere bestimmte Fracht, überwiegend Container aus Fernost, und entlud die großen Containerschiffe. Die Container wurden auf der fast 13 Quadratkilometer großen Außenfläche gestapelt. Wenn die gigantischen Frachter ankamen, hoch beladen mit Tausenden von Zwölf-Meter-Containern, hatten sie einen Tiefgang, als stünden sie kurz vor dem Sinken.
An den Docks hievten riesige Verladekräne die Container einen nach dem anderen wie am Fließband, schnell und effizient, vom Schiff auf die Bereitstellungszone, die Staging Area. Dort wurden sie auf von Trucks gezogene Hängergestelle gehievt. Die Fahrer brachten die Container in das weitläufige Lager, wo man sie durch das labyrinthartige Netzwerk der einzelnen, systematisch nach Frachtart, Datum des Weitertransports und Zielort aufgeteilten Sektionen dirigierte. Neqq fuhr einen Greifstapler. Seine Aufgabe bestand darin, die schweren Container vom Anhänger herunterzuheben und auf dem Boden oder auf anderen Containern zu platzieren.
Die Lagerhalle stand am Rand des Containerlagers, direkt an den Docks. Man brauchte sie zum Lagern des Stückguts – Fracht, die nicht in Containern angeliefert wurde, sondern auf Paletten und vor der Witterung geschützt werden musste. In der Lagerhalle befanden sich auch die Spinde der Arbeiter, die Toilette und die Cafeteria. Es gab sogar einen Fitnessraum.
Schwer vorstellbar, dass schon eine kleine Menge der weichen Substanz ganz unten in Neqqs Spind das ganze Gebäude, einen Großteil des Containerfeldes und die meisten Docks im Hafen zerstören konnte. Aber das konnte sie. Bald würde es so weit sein.
Er überprüfte es an diesem Morgen als Erstes. So wie jeden Dienstag. Alles an Ort und Stelle: das Octanitrocuban, der Zünder. Die letzten Stücke hatte er vor ein paar Monaten festgedrückt. Der Zünder war vor über drei Jahren gekommen. Er lag in einer Schachtel, getarnt als Kinderspielzeug, Teil eines Metallbaukastens. Sie hatten ihn sogar wieder eingeschweißt, damit er wie neu aussah. Doch Neqq wusste genau, welche Teile zum Zünder und welche zum Baukasten gehörten. Er brauchte fast ein ganzes Wochenende, um das komplizierte Teil zusammenzubauen. Aber als er den letzten Draht abisolierte und an die Funkantenne lötete, wusste er, dass der Zünder einwandfrei funktionierte. In der Woche darauf hatte er ihn scharfgemacht. Gleich nach dem Mittagessen hatte er ihn an jenem Dienstag vor fast zwei Jahren in den Sprengstoff unter der Fußleiste seines Spindes gesteckt. Inzwischen lag er unter weiterem, in Zahnpastatuben eingeschmuggeltem Octanitrocuban begraben und wartete auf seinen Einsatz. Darauf, dass irgendwer irgendwo den Zünder auslöste. Neqq wusste, wie er die Bombe hochgehen lassen konnte, wenn es sein musste. Aber er sollte mit der Detonation warten. Warten, solange man ihm nicht auf die Spur kam. Soll ich sie zünden?, fragte er sich.
Neqq machte sich nichts vor. Die Chancen standen drei zu eins, dass er sich hier in der Halle aufhielt, wenn die Bombe hochging. Er arbeitete in einer Acht-Stunden-Schicht. Drei zu eins. Er dachte ständig darüber nach. Wollte er das? Falls er im Moment der Explosion nicht arbeitete, kamen sie ihn dann holen? Würde er in Long Beach bleiben? In Kalifornien? Amerika? Er hatte immer gedacht, er wollte beim großen Knall hier sein. Das machte es in so vielerlei Hinsicht einfacher. Dann suchte ihn hinterher niemand. Doch in letzter Zeit dachte er häufiger an seine Familie. Sie wussten ja nicht einmal, dass er noch lebte. Wenn er sich vorstellte, wie er in das kleine Häuschen knapp außerhalb der Stadtmitte spazierte und zu seiner Mutter sagte: »Mama!« Er wusste, sobald sie ihn in der Tür stehen sah, brach sie in Tränen aus. Bei dem
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