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Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)

Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)

Titel: Power Down - Zielscheibe USA (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Coes
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Sie lernten Schießen und Kämpfen. Wurden im Umgang mit Sprengstoff ausgebildet. Und auch dies brachte man ihnen bei: Das Sprengmaterial ist wie Lehm. Man kann es gegen die Wand werfen, sogar mit einem Auto darüberfahren. Man kann es in kleinen Mengen essen und der Körper wird es ausscheiden, ohne Schaden zu nehmen. Lädt man es aber mit zwei negativen Ionen gleichzeitig auf – einem speziellen, T7.4 genannten Zünder –, lässt dieses weiche Zeug um euch herum die Welt untergehen.
    Einmal zeigten sie es ihnen auch. Dabei jagten sie, fast anderthalb Kilometer entfernt, eine Fläche von der Größe eines Baseballs in die Luft. Selbst aus dieser Entfernung ließ die Explosion noch die Erde erbeben. Am nächsten Tag stiegen sie in den Krater hinab, und er war immer noch warm. Der Krater besaß einen Durchmesser von mehr als 100 Metern.
    Deshalb befand er sich dort. An jenem Tag, als sie Zeuge der Explosion wurden, begriffen sie es alle.
    Sie verbrachten fünf Monate in Kenia, schwitzen wie Hunde, hungerten, lernten zu töten und mit Sprengstoff umzugehen. Sie begriffen, was es hieß, eine Zelle zu sein. Eines Tages entschied jemand, viel klüger als er, dass sie bereit seien. Sie kehrten zurück nach Kenia, von dort ging es an Bord eines klapprigen Schoners nach Marbella in Südspanien. Von Gibraltar aus flogen sie in Richtung Kanada, jeweils in verschiedene Städte. Ihn schickten sie nach Montreal. Über sechs Monate wohnte er dort in einem Apartment in der Nähe der McGill University und wartete. Es wurde ihm untersagt, eine Moschee aufzusuchen oder mit einem der anderen in Kontakt zu treten, selbst wenn sie einander auf der Straße über den Weg laufen sollten.
    An einem Tag im Mai kam der Brief. Er enthielt einen kanadischen Pass, ein Busticket und den Schlüssel zu einem Schließfach am Bahnhof von Des Moines, Iowa. Er erinnerte sich noch daran, wie er gelacht hatte, weil er so froh war, endlich irgendwohin zu gehen – weil er endlich etwas zu tun hatte. Er hatte gelacht, weil er nicht einmal wusste, wo sich Des Moines oder auch Iowa überhaupt befand. Zwei Tage mit dem Bus nach Iowa. In dem Schließfach am Bahnhof lagen acht Schecks über jeweils 10.000 Dollar und eine Hochglanzbroschüre, auf der der Hafen von Long Beach in Kalifornien prangte: »Amerikas Tor zum Osten.« Der größte Hafen der Vereinigten Staaten. In keinem anderen Hafen der USA wurde so viel umgeschlagen.
    Damit war klar, wo er als Nächstes hinfahren sollte. Zuletzt lag da noch ein Zettel mit einer Telefonnummer. Er wusste, dass er anrufen musste, sobald er sein Ziel erreicht und eine Unterkunft gefunden hatte. In gewisser Hinsicht, hatte er damals gedacht, handelte es sich bei dem Zettel wohl um den wichtigsten Gegenstand im Schließfach. Wenn er ihn verlor, brach die Verbindung für alle Zeiten ab. Dann hätte er auch sein Ziel aus den Augen verloren. Es wäre so leicht gewesen, einfach wegzulaufen. Das Geld zu nehmen und abzuhauen. Vielleicht handelte es sich ja um einen Test? Vielleicht rechneten sie damit, dass einige von ihnen wegliefen, und diejenigen, die es taten, konnten sie auch nicht brauchen. Sie hatten nicht die innere Stärke, es durchzuziehen, das zu tun, was als Nächstes kam. Er prägte sich die Nummer ein. Selbst heute kam es noch vor, dass er aufwachte und traumverloren diese Nummer vor sich hin murmelte, sie ständig wiederholte wie ein Lied, das einem nicht aus dem Kopf geht.
    Er meldete sich bei der Nummer und gab seine neue Adresse durch. Danach kam ungefähr einmal im Monat ein Päckchen mit einem Scheck und Vorräten wie Keksen, Zahnpasta, anderen Dingen. Aber das Einzige, was zählte, war die Zahnpasta. Darum ging es hier. Jeden Monat, wenn das Päckchen kam, löste Neqq den Scheck ein. Wenn sie noch nicht zu alt waren, aß er die Kekse. Der eigentliche Anlass für das Päckchen, der Grund für das Ganze, steckte in der Zahnpasta. Er öffnete die Tube und roch daran. Der Geruch war mild, wie ein schwacher Hauch Benzin. Octanitrocuban.
    Ein letztes Mal betrachtete er sich im Spiegel des Waschraums. Sie werden mich foltern, und dann werde ich ihnen alles sagen, dachte er. Ich bin nicht stark genug.
    Neqq lehnte sich zurück und stellte das Wasser ab. Er streckte die Hand aus, griff nach einem Papierhandtuch, rieb sich die Hände trocken, verließ die Toilette und lief zurück in die Lagerhalle. In einer Viertelstunde begann seine Schicht. Er atmete den Geruch ein, den er mit der Zeit lieben gelernt hatte – eine

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