PR 2649 – Die Baumeister der BASIS
seinem Auftraggeber, seinem Herrn und seinem Befehlshaber bevor?
Wie magisch angezogen trat er auf die Säule zu und blieb unmittelbar vor ihr stehen. Er hätte bloß die Arme auszustrecken brauchen, um das matt leuchtende Material zu berühren – doch er würde es nicht tun. Niemals! Dies wäre ein nicht wiedergutzumachender Frevel gewesen.
Die Kontaktaufnahme begann. Kaowen fühlte eine besondere Regung, eine Art Vibrieren. Es fing in seinem Inneren an und griff, vom Magen ausgehend, immer weiter um sich, bis es seinen gesamten Körper erfasste.
QIN SHI tastete ihn ab. Er überprüfte seine Gesinnung, seine körperliche Verfassung, die Übereinstimmung von beidem. Er wollte sichergehen, dass Kaowen ihm bedingungslos und für alle Zeiten gehörte.
Dann gab sich die Superintelligenz zu erkennen. Anfangs empfand Kaowen Ernüchterung, so wie immer, wenn er QIN SHI begegnete. Es war nicht viel Erhabenes und Großes in seinem Auftreten.
QIN SHI zeigte sich als Abbild. In Gestalt eines Gesichts, das sich auf der Oberfläche der Säule zeigte, überdimensional und perfekt proportioniert. Das Gesicht wuchs aus der Projektionsfläche hervor wie ein Wassertropfen auf einem Blatt, der allmählich der Flächenneigung folgte, hinunterrann, am Rand für eine Weile hängen blieb und schließlich zu Boden fiel. Im Fallen nahm er dann perfekte Tropfenform an und spiegelte auf seiner klaren Oberfläche all die Dinge ringsum.
Der Blick dieses gespiegelten Gesichts war unausweichlich. Er forderte und erheischte unbedingte Aufmerksamkeit.
Kaowen musste hart schlucken. Er hatte das dringende Bedürfnis, seine Augen zu schließen. Doch er wusste, dass ihn das Gesicht in der Schwärze verfolgen würde. Es war da und würde nicht mehr weichen, bis QIN SHI ihn aus dem Fokus seiner Aufmerksamkeit entlassen wollte.
Für dieses zwanghafte Interesse an der Erscheinung der Superintelligenz gab es keine Erklärung. Ihre Präsenz entzog sich jeglicher Beurteilung oder Bewertung. Sie war Kaowen um ein Vielfaches überlegen. Sie strahlte Macht und Kraft und Kompetenz aus, in einem Maß, das ein niederes Wesen wie er niemals würde begreifen oder erreichen können.
Der Protektor fühlte, wie seine Knie zitterten. Er verspürte den Drang, sich zu Boden zu werfen, und konnte nur unter Aufbietung aller Willenskraft mühsam widerstehen. Er starrte weiterhin in sein ins Riesenhafte vergrößerte Antlitz und wartete auf den Urteilsspruch QIN SHIS.
Nichts geschah. Es blieb ruhig im Raum. Irgendwo, in weiter Ferne, war ein sanftes Blubbern zu hören, als brächte jemand Tonnen sämigen Nahrungsbreis zum Kochen.
Kaowens Beine waren völlig verkrampft. Er entlastete sie, schüttelte sie aus und bewegte sich einen Schritt zur Seite. Die Blicke seines Alter Ego folgten ihm aufmerksam. Sie kannten keine Gnade, wie auch er seinen Untergebenen niemals Barmherzigkeit entgegengebracht hatte.
Was war an diesem Kaowen-Gesicht bloß so bemerkenswert anders als an seinem eigenen?
Er wischte sich Schweiß von der Stirn, dicke Tropfen, die sich am Knochenwulst oberhalb der Augen verfangen hatten. Die QIN-SHI-Erscheinung tat nichts dergleichen. Sie schwieg und beobachtete.
Sie zeigt mich in einer optimierten Form, stellte Kaowen fest. Die Züge sind stärker und energischer ausgeprägt. Da ist kein Zweifel zu erkennen. Dieser Protektor, den QIN SHI sich wohl wünscht, kennt keinerlei Unsicherheiten. Und zugleich wirkt er grausamer, schmerzlüsterner, unbarmherziger. Er ist eine zugleich verklärte und entstellende Vision meiner selbst.
Noch ein kleiner Schritt zur Seite, ein leises Räuspern, ein Zucken der Augenlider. Wiederum ließ ihn das Abbild spüren, dass es mit seinen Bewegungen nicht einverstanden war. Es erwartete, dass er ruhig blieb; wenn es sein musste, für die nächsten beiden Tage.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Kaowen, ob sich QIN SHI all seinen Untergebenen mit deren eigenem Gesicht zeigte.
Wahrscheinlich schon. QIN SHI ist ein Wesen mit unzähligen Gesichtern.
Gleich darauf schoss ihm ein unbotmäßiger, fast ketzerischer Gedanke durch den Kopf: Hat die Superintelligenz überhaupt ein eigenes Gesicht – oder partizipiert sie bloß an ihren »Mitarbeitern«? Ist sie in ihrem ureigensten Inneren ein Parasit? Ein Gestaltwechsler, ein Identitätensammler? Leidet sie unter Echomimie, einer Zwangsstörung, die sie dazu bringt, Mimiken imitieren zu müssen?
Kaowen duckte sich. Er befürchtete, wegen des gedachten Frevels abgemahnt und
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