PR 2656 – Das Feynman-Kommando
dem Otorongo gesprochen hatte.
An der Magnetscheibe der Wand haftete ein Medoroboter, groß und eiförmig wie ein Football; seine beiden Tentakel hingen schlaff und fast bis zum Boden; sein Multifunktionsauge leuchtete grasgrün und behielt den Patienten im Blick.
Bull hatte sich neben die Liege gesetzt. Er forderte den Medoroboter auf: »Weck ihn. So sanft wie möglich.«
Ohne sich von seiner Magnethaftung zu lösen, berührte der Roboter mit der Injektionsspitze seines Tentakels Rouths Hals. Es zischte kaum hörbar.
Einige Minuten vergingen. Dann öffnete Routh langsam die Augen und starrte einige Sekunden wie blind an die Decke. Endlich gewahrte er Bulls Anwesenheit.
»Oh«, sagte er. »Resident.«
»Wie geht es dir?«
»Wie geht es Henrike?«
»Ich weiß es nicht«, gab Bull zu. »Ich habe keinen Kontakt zu ihr. Auf Terra gelte ich als tot. Und das soll auch noch ein wenig so bleiben. Ich denke aber, sie hält sich in der Solaren Residenz auf. In der Nähe von Anicee. Anicee ist in der Residenz.«
»Okay«, sagte Routh nach einer kleinen Weile, zugleich erleichtert und besorgt. »Weißt du etwas über Anicee? Mein Ziehvater hat gesagt, sie sei wertvoll geworden. Wertvoll für die Akademie auf Druh.«
»Welche Akademie?«
Routh winkte müde ab. »Chourtaird fragen. Anicee?«
Bull überlegte kurz, ob er die Tatsachen ein wenig schönen sollte. Dann sagte er: »Anicee wurde neu formatiert. Sie hält sich jetzt für eine Sayterranerin. Zusammen mit einigen anderen umgedrehten Jugendlichen bildet sie so etwas wie eine Marionettenregierung für die Invasoren. Sie bezeichnen sich als den Umbrischen Rat.«
Shamsur Routh schwieg.
»Ich bin, was diese Sayterraner angeht, ein bisschen ratlos«, gestand Bull.
Routh sammelte offenbar seine Kräfte. Dann sagte er: »Ich habe auf Gadomenäa wundersame Städte und Parks gesehen. So makellos, dass es einen Besucher beschämen konnte.«
»Was hast du herausgefunden?«
»Die Städte stehen weitgehend leer. Ich denke, die Sayporaner verfügen über eine hochstehende biochemische Technologie. Extrem hohe Lebenserwartung. Die Individuen leben extrem lang. Aber ihr Volk stirbt aus.«
»Sie wären trotz dieser Biotechnologie reproduktionsmedizinische Anfänger?«, staunte Bull.
»Ich habe auf Gadomenäa keine Kinder gesehen. Außer unseren Kindern«, sagte Routh.
Einige von unseren über 123.000 Kindern, ergänzte Bull in Gedanken. Er sagte: »Wir können also davon ausgehen, dass die Sayporaner die Entführten nicht in erster Linie als Druckmittel gegen uns verwenden werden, sondern sie als ihre Kinder betrachten.«
»Ja. Auf Gadomenäa hat man ihnen eingeredet: Eine neue Zeit beginnt. Dass die Geschichte der Menschheit in eine neue Phase träte. Dass sie – die Jugendlichen, die über das Transitparkett gegangen sind – neue Pioniere sein werden. Wie alle Pioniere würden sie kämpfen müssen. Gegen die Beharrungskräfte. Das Alteingesessene. Die Sayporaner haben sich anerboten, ihre Mentoren zu sein. Die neuen Arkoniden. Sozusagen.«
Bull kniff die Lippen zusammen. Die Pioniere – hatten nicht auch er und Perry sich im Recht gesehen, als sie, ohne von der Menschheit dafür legitimiert worden zu sein, der Geschichte eine neue Richtung gegeben hatten? Zu den Sternen?
»Anicee glaubt, sie habe eine Mission: den Menschen im Solsystem ein neues Zuhause zu geben. Hier. Im Neuroversum. Ich habe mit einem Mann geredet. Zachary Cranstoun. Er ...«
»Zachary Cranstoun?«, unterbrach ihn Bull. »Hast du Zachary Cranstoun gesagt?«
»Ja«, sagte Routh und schloss die Augen.
Bull spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Er selbst hatte Aiden und Zachary Cranstoun am 6. September 1469 NGZ, also kurz nach der Versetzung des Solsystems, mit der BOMBAY auf eine Expedition geschickt. Die BOMBAY hatte unter Oberst Nuruzzaman die neue interstellare Umgebung des Systems vorsichtig erkunden sollen. Als die BOMBAY zurückgekehrt war, hatten die Fagesy sie in ein Spionageschiff verwandelt.
Immerhin war es einem Enterkommando der Liga gelungen, in die BOMBAY einzudringen und in Erfahrung zu bringen, was mit dem Schiff geschehen war.
Seit dem 17. November 1469 NGZ befanden sich 23 Besatzungsmitglieder der BOMBAY im Kastell – in absoluter Quarantäne, weil sie nach wie vor von den Nanomaschinen infiziert waren und in einem künstlich induzierten Tiefschlaf lagen.
Eine von Don Monwiil angeführte Einsatzgruppe hatte sie aus dem infiltrierten EXPLORER-Schiff geborgen
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